Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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ist daher die Phantasie, die Einbildungskraft. Die Christen bezeichnen 
das theoretische Religionsvermögen mit dem Worte: Glauben. Re— 
ligiös und gläubig ist ihnen eins, eben so Unglaube und Gottesläug— 
nung oder Irreligion. Wenn wir aber näher untersuchen, was dieses 
Wort bedeutet, so ist es nichts Andres, als die Einbildungskraft. Der 
Glaube, sagt Luther, die größte Auctorität in dieser Materie, der größte 
Glaubensheld der Deutschen, der deutsche Apostel Paulus, wie man ihn 
genannt hat, „der Glaube, sagt er z. B. in seiner Auslegung des Ersten 
Buchs Moses, ist in der Wahrheit allmächtig . . . . dem Gläubigen 
alle Dinge möglich sein. Denn der Glaube machet aus dem, das nichts 
ist, daß es sei, und aus den Dingen, so unmöglich sind, machet er alles 
möglich.“ Aber diese Allmacht des Glaubens ist nur die Allmacht der 
Phantasie, der Einbildungskraft. Die Symbole des christlichen Glau⸗ 
bens sind, wenigstens nach lutherischem Glauben, die Taufe und das 
Abendmahl. Der Stoff, die Materie der Taufe ist das Wasser, die 
Materie des Abendmahls Wein und Brot, aber dem Glauben ist das 
natürliche Wasser der Taufe ein geistliches Wasser, wie Luther sagt, ist 
das Brot das Fleisch, der Wein das Blut des Herrn, d. h. die Ein— 
bildungskraft ist es, die Wein in Blut, Brot in Fleisch verwandelt. 
Der Glaube glaubt an Wunder, ja Glaube und Wunderglaube ist eins; 
der Glaube bindet sich nicht an die Gesetze der Natur; der Glaube ist 
frei, unumschränkt; er glaubt alles Mögliche. „Sollte dem Herrn 
etwas unmöglich sein?“ Aber diese an keine Gesetze der Natur gebundene 
Kraft des Glaubens oder Gottes ist eben die Kraft der Einbildung, der 
nichts unmöglich ist. Der Glaube sieht auf das Unsichtbare; „der 
Glaube ist nicht derer Dinge, die man siehet, heißt es in der Bibel, son⸗ 
dern derer, die man nicht siehet.“ Aber auch die Einbildungskraft 
ist nicht derer Dinge, die man siehet, sondern derer, die man nicht siehet. 
Die Einbildungskraft hat es nur mit Dingen und Wesen zu thun, die 
nicht mehr oder noch nicht, oder wenigstens nicht gegenwärtig sind. 
„Der Glaube, sagt Luther in der angefuͤhrten Auslegung, hänget sich
	        
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