Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

*22 stracks an das Ding, das noch lauter Nichts ist, und wartet darauf, bis 
daß daraus Alles werde.“ „Der Glaube hat es eigentlich nur, sagt er 
an einer andern, schon in meinem Luther angeführten Stelle, mit der 
Zukunft zu thun, nicht mit dem Gegenwärtigen.“ Darum verzagt der 
Gläubige nicht, wenn es ihm gegenwärtig schlecht geht; er hofft auf 
eine bessere Zukunft. Aber der hauptsächliche Gegenstand der Einbil— 
dungskraft ist eben die Zukunft. Die Vergangenheit, obwohl auch ein 
Gegenstand der Phantasie, beschäftigt uns, interessirt uns nicht so sehr, 
wie die Zukunft; denn sie liegt hinter uns; sie ist unabänderlich; sie ist 
vorbei. Was sollen wir also uns viel um sie kümmern? Aber anders 
ist es mit der Zukunft, die uns ja erst bevorsteht. Und allerdings hat 
Luther in dieser Hinsicht vollkommen recht, wenn er den Unglauben 
an der Zukunft tadelt, wenn er es tadelt, daß der Mensch verzweifelt, 
wenn er in dem gegenwärtigen Augenblick keinen Ausweg sieht; denn 
der heutige Tag ist nicht der jüngste Tag; die Gegenwart nicht das Ende 
der Geschichte. Es kann Alles noch ganz anders werden, als es jetzt 
ist, so traurig auch der Blick in die Gegenwart. Namentlich gilt dies 
in socialen und politischen Dingen, in Dingen, die die Menschheit im 
Ganzen betreffen; denn den Einzelnen befallen allerdings Unglücksfälle, 
wo die Hoffnung auf Besserung oder nur Aenderung verschwindet, wo 
„Verzweiflung Pflicht ist“. 
Gott, sagen die Christen, ist kein Gegenstand der Sinnlichkeit; 
er kann nicht gesehen, nicht gefühlt werden; aber er ist auch, sagen we⸗ 
nigstens die strenggläubigen Christen, kein Gegenstand der Vernunft; 
denn sie stützt sich nur auf die Sinne; Gott kann nicht bewiesen; er 
kann nur geglaubt werden, oder Gott existirt nicht in den Sinnen, nicht 
in der Vernunft; er existirt nur im Glauben, d. h. er existirt nur in der 
Einbildung. Luther sagt in seiner Kirchenpostille: „Ich habe oft ge⸗ 
sagt, daß sich Gott eben also gegen den Menschen erzeiget, wie derselbige 
gesinnt ist, und wie du denkest und glaubest, so hast du ihn. 
Wer ihn gnadig oder zornig, süße oder sauer mahlet in seinem Herzen, 
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