Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

uu Wesen, wie es uns vermittelst der Naturwissenschaft bekannt geworden 
ist, entsprechende Weise zu vermenschlichen, zu einem Gegenstand reli— 
gions⸗philosophisch poetischer Anschauung zu machen. Ich hebe nur den 
Gegenstand der Religion, oder vielmehr der bisherigen Religion auf; 
ich will nur, daß der Mensch nicht mehr sein Herz an Dinge hänge, die 
nicht mehr seinem Wesen und Bedürfniß entsprechen, die er folglich nur 
im Widerspruch mit sich glauben und verehren kann. Es giebt aller— 
dings viele Menschen, bei denen sich die Poesie, die Phantasie nur an 
Gegenstände der überlieferten Religion anknüpft, denen man daher mit 
diesen Gegenständen auch alle Phantasie nimmt. Aber Viele sind noch 
nicht Alle, und was für Viele nothwendig, ist deßwegen noch nicht an 
sich nothwendig, und was jetzt nothwendig, ist deßwegen noch nicht 
immer nothwendig. Liefert uns denn aber nicht das menschliche Leben, 
nicht die Geschichte, nicht die Natur Stoff genug zur Poesie? Hat die 
Malerei keinen Stoff mehr, wenn sie nicht mehr die Gegenstände der 
christlichen Religion zu ihren Stoffen nimmt? Ich hebe so wenig die 
Kunst, die Poesie, die Phantasie auf, daß ich vielmehr die Religion nur 
insofern aufhebe, als sie nicht Poesie, als sie gemeine Prosa ist. 
Damit kommen wir sogleich auf eine wesentliche Beschränkung des 
Satzes: die Religion ist Poesie. Ja, sie ist es; aber mit dem Unter— 
schiede von der Poesie, von der Kunst überhaupt, daß die Kunst ihre Ge— 
schöpfe für nichts Andres ausgiebt, als sie sind, für Geschöpfe der 
Kunst; die Religion aber ihre eingebildeten Wesen für wirkliche We— 
sen ausgiebt. Die Kunst muthet mir nicht zu, daß ich diese Landschaft 
für eine wirkliche Gegend, dieses Bild des Menschen für den wirklichen 
Menschen selbst halten soll, aber die Religion muthet mir zu, daß ich 
dieses Bild für ein wirkliches Wesen halten soll. Der bloße Kunstsinn 
erblickt in den Götterstatuen der Alten nur Kunstwerke; aber der reli— 
giöse Sinn der Heiden erblickte in diesen Kunstwerken, in diesen Statuen 
Götter, wirkliche, lebendige Wesen, denen sie Alles thaten, was sie nur 
ine hren immer einem verehrten und geliebten wirklichen Wesen thaten. Sie 
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