Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

menschenähnliche Wesen, eben deßwegen Bilder des Menschen sind, daß 
auch der geistige Gott der Christen nur ein durch die Einbildungskraft 
des Menschen erzeugtes, außer den Menschen hinausgesetztes, als ein 
selbstständiges, wirkliches Wesen vorgestelltes Bild des Menschenwesens 
ist, daß also die Gegenstände der Religion, natürlich so, wie sie ihr 
Gegenstand sind, nicht außer der Einbildungskraft existiren. Gegen 
diese Behauptung haben die Gläubigen, insbesondere die Theologen ent— 
setzlich declamirt und ausgerufen: wie ist's moglich, daß das eine bloße 
Einbildung sei, was Millionen so viel Trost gewährt hat, dem Millio⸗ 
nen selbst ihr Leben aufgeopfert haben? Aber das ist gar kein Beweis 
für die Wirklichkeit und Wahrheit dieser Gegenstände. Die Heiden ha— 
ben ihre Götter eben so gut für wirkliche Wesen gehalten, haben ihnen 
Hekatomben von Stieren, haben ihnen sogar das Leben, sei es nun ihr 
eigenes, oder das anderer Menschen, aufgeopfert, und doch gestehen jetzt 
die Christen, daß diese Götter nur selbstgeschaffene, eingebildete Wesen 
waren. Was die Gegenwart für Wirklichkeit haäͤlt, das erkennt die Zu— 
kunft für Phantasie, für Einbildung. Es wird eine Zeit kommen, wo 
es eben so allgemein anerkannt sein wird, daß die Gegenstände der christ— 
lichen Religion nur Einbildung waren, als es jetzt allgemein von den 
Göttern des Heidenthums anerkannt ist. Es ist nur der Egoismus 
des Menschen, daß er seinen Gott für den wahren, die Götter anderer 
Völker für eingebildete Wesen hält. Das Wesen der Einbildungskraft, 
wo ihr kein Gegengewicht die sinnliche Anschauung und Vernunft ent— 
gegensetzt, ist eben das, daß sie das als wirklich dem Menschen erschei— 
nen laͤßt, was sie ihm vorstellt. Welche Macht die Einbildungskraft über 
den Menschen ausübt, das mögen uns einige Beispiele aus dem Leben der 
sogenannten wilden Völker veranschaulichen. „Die Wilden in Amerika 
und Sibirien unternehmen keinen Zug, machen keinen Tausch, schließen 
keinen Vertrag, wenn sie nicht durch Träume dazu ermuntert sind. 
Das Kostbarste, was sie haben, was sie unbedenklich mitihrem 
Leben vertheidigen würden, geben sie auf Treue und Glau— 
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