Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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lungen, aber sie sehen nicht ein, daß ihr Gottesglaube auf demselben 
Standpunkt, demselben Grunde beruht, auf welchem diese Vorstellun— 
gen, nur daß sie nicht den Menschen mit Haut und Haaren, nicht, wie 
ich schon entwickelte beim Unterschiede von Polytheismus und Mono— 
theismus, das Individuum, das körperliche Einzelwesen, sondern das 
vermittelst des Absonderungsvermögens vom Individuum, vom Leibe 
abgezogene Wesen des Menschen zum Grunde der Natur machen, hinter 
ihr spuken lassen. Es ist aber im Grunde ganz eins, ob ich, wie die 
Patagonier, die Erscheinungen des Himmels von Gemüthsstimmungen 
und Willensbestimmungen, den Schein der Sonne von ihrer Gutmü— 
thigkeit und Freundlichkeit, ihre Verfinsterung von ihrer Bosheit, ihrer 
Ungnade gegen den Menschen ableite, oder wie der Christ, der Gottes— 
gläubige die Natur überhaupt von einer freien Ursache oder dem Willen 
eines persönlichen Wesens, denn nur ein persönliches Wesen hat Willen, 
ableite. Wo der Gottesglaube noch ein wahrer, wo er daher ein con— 
sequenter, ein strenger, zusammenhängender Glaube ist, kein lüderlicher, 
zerrissener Glaube, wie der moderne Gottesglaube, da ist Alles will— 
kürlich, da giebt es keine physikalischen Gesetze, keine Naturmacht, da 
werden die den Menschen in Furcht versetzenden, die schrecklichen, Unglück 
verursachenden Erscheinungen der Natur von dem Zorne Gottes oder, 
was eins ist, dem Teufel, die entgegengesetzten Erscheinungen der Natur 
von der Güte Gottes abgeleitet. Aber diese Ableitung des Naturnoth— 
wendigen von einer freien Ursache hat ihren theoretischen Grund nur 
in der Unwissenheit und Einbildungskraft des Menschen. Daher die 
Menschen, nachdem sie sich einige Kenntnisse von den gewöhnlichen Er— 
scheinungen der Natur erworben hatten, hauptsächlich nur in den unge— 
wöhnlichen und unbekannten Naturerscheinungen, d. h. in den Erschei— 
nungen der menschlichen Unwissenheit die Spuren und Beweise einer 
willkürlichen oder freien Ursache erblickten. So war es z. B. mit den 
Kometen. Weil diese selten erschienen, weil man nicht wußte, was man 
aus ihnen machen sollte, so erblickten noch bis zu Anfang des vorigen 
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