Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

nn der Furcht man eben so gut auch auf einen anderen Gegenstand, auf 
andere Götter, andere Wesen, wie die natürlichen und menschlichen We— 
sen, übertragen kann, Gott aber eben diese für sich allein in Anspruch 
nimmt. Erst durch sogenannte positive, d. i. willkürliche Gesetze ent— 
steht daher der Unterschied zwischen Götzen- und Gottesdienst. Ihr sollt 
nicht auf Menschen trauen, sondern auf mich; ihr sollt euch nicht fürch— 
1 ten vor Naturerscheinungen, sondern vor mir allein; ihr sollt nicht die 
dn Sterne anbeten, als käme von ihnen euer Wohl und Heil, sondern mich, 
in der ich die Sterne zu eurem Dienste gemacht habe, so spricht der Gott 
un Jehovah, der monotheistische Gott überhaupt zu seinen Dienern, um sie 
vor dem Goͤtzendienste zu bewahren. Aber er brauchte nicht so zu reden, 
2 nicht zu gebieten, daß die Menschen nur ihm allein vertrauten und dien— 
ten, wenn es ein besonderes religiöses Gefuͤhl, ein besonderes religiöses 
h Organ gabe. So wenig ich dem Auge zu befehlen brauche: Du sollst 
n nicht hören, nicht dem Schalle dienen, oder dem Ohre: Du sollst nicht 
sehen, nicht dem Lichte die Aufwartung machen, so wenig brauchte der 
1 Gegenstand der Religion dem Menschen zu sagen: Du sollst mir nur 
dienen, wenn es ein besonderes religiöses Organ gäbe; denn dieses 
3* würde sich eben so wenig irgend einem andern, nicht religiösen Gegen— 
stande zuwenden, als sich das Ohr dem Lichte, oder das Auge dem 
Gegenstande des Ohres zuwendet. Und so wenig das Auge eifersüchtig 
ist auf das Ohr, so wenig es befürchtet, daß das Ohr ihm seinen Ge— 
genstand entführen und sich zueignen werde, so wenig könnte Gott auf 
die natürlichen und menschlichen Wesen eifersüchtig sein oder gedacht 
werden, wenn es ein ausschließlich religiöses oder göttliches, nur ihm 
entsprechendes Organ gäbe. Das Organ der Religion ist das Gefühl, 
ist die Einbildungskraft, ist das Verlangen oder Bestreben, glücklich zu 
sein, aber diese Organe erstrecken sich keineswegs nur auf besondere Ge—⸗ 
genstaͤnde, auf die Gegenstände, die man als religiöse bezeichnet, gleich 
n als wenn es solche gäbe, da doch jeder Gegenstand, jede Kraft, jede Er— 
n scheinung, sowohl menschliche, als natürliche, Gegenstand der Religion 
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