Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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mn nen; aber ein solches absonderliches Jenseits wäre etwas Unglaubliches 
und Widersinniges. Aber so wie der Wunsch des ewigen Lebens ist 
auch der Wunsch der Allwissenheit und unbegränzter Vollkommenheit 
nur ein eingebildeter Wunsch, und der diesem Wunsch untergelegte un— 
beschränkte Wissens- und Vervollkommnungstrieb nur dem Menschen 
angedichtet, wie die tägliche Erfahrung und Geschichte beweist. Der 
Mensch will nicht Alles, er will nur wissen, wozu er eine besondere Vor— 
liebe und Neigung hat. Selbst der Mensch von universellem Wissens— 
trieb, was eine seltene Erscheinung ist, will keineswegs Alles ohne Un— 
terschied wissen; er will nicht alle Steine kennen, wie der Mineralog 
von Fach, nicht alle Pflanzen, wie der Botaniker; er begnuͤgt sich mit 
dem Allgemeinen, weil dieses seinem allgemeinen Geist entspricht. Eben 
so will der Mensch nicht Alles können, sondern nur das, wozu er einen 
besonderen Trieb in sich verspuͤrt; er strebt nicht nach einer unbegränz— 
ten, unbestimmten Vollkommenheit, die nur in einem Gott oder endlosen 
Jenseits sich verwirklicht, sondern nur nach einer bestimmten, begränzten 
Vollkommenheit, nach der Vollkommenheit innerhalb einer bestimmten 
Sphäre. Nicht nur die einzelnen Menschen sehen wir daher stehen 
bleiben, wenn sie einmal auf einen bestimmten Standpunkt, auf einen 
bestimmten Grad der Ausbildung und Vervollkommnung ihrer Anlagen 
angelangt sind, sondern selbst ganze Völker sehen wir Jahrtausende lang 
unverrückt auf demselben Standpunkt stehen bleiben. So stehen die 
Chinesen, die Inder heute noch da, wo sie bereits vor Jahrtausenden 
standen. Wie reimen sich diese Erscheinungen mit dem schrankenlosen 
Vervollkommnungstrieb, den der Rationalist dem Menschen andichtet 
u und dem er daher in einem unendlichen Jenseits einen Platz einzuräumen 
sucht? Der Mensch hat im Gegentheil nicht nur einen Trieb, fortzu⸗ 
n schreiten, sondern auch einen Trieb zu rasten, auf dem einmal gewonne— 
ih hs nen, der Bestimmtheit seines Wesens entsprechenden Standpunkt zu 
L beharren. Aus diesen entgegengesetzten Trieben entspringt der Kampf 
Gefuh⸗ der Geschichte, der Kampf auch unserer Gegenwart. Die Progressisten,
	        
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