Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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vidualität ist. Wie das Nichtich, so das Ich. Wo z. B. der 
Freßtrieb das uͤberwiegende Nichtich, da ist auch das Ich oder die Indi⸗ 
vidualitaät durch die überwiegende Ausbildung der Freßwerkzeuge gezeich— 
net. Auf dieses Nichtich paßt auch nur dieses Ich und umgekehrt. 
Wäre es anders, wäre nicht das Nichtich selbst schon individualisirt so 
wäre ja die Erscheinung oder Existenz des Ich eine eben so unerklärliche, 
mirakulöse und monströse, als die Incarnation Gottes oder Verei— 
nigung des Menschen und Gottes in der Theologie. Was nun der 
Grund der Individualität, dasselbe ist auch der Grund der Religion: die 
Verbindung oder Einheit von Ich und Nichtich. Wäre der Mensch ein 
bloßes Ich, so hätte er keine Religion, denn er wäre selbst Gott; aber 
eben so wenig, wenn er ein Nichtich oder ein sich nicht von seinem Nichtich 
unterscheidendes Ich wäre, denn er wäre dann eine Pflanze oder Thier 
Allein der Mensch ist eben gerade dadurch Mensch daß sein Nichtich 
Gegenstand seines Bewußtseins, Gegenstand selbst seiner Bewunderung, 
Gegenstand des Abhängigkeitsgefühles, Gegenstand der Religion ist, so 
gut als die äußere Natur. Was bin ich ohne Sinne, ohne Einbildungs— 
kraft, ohne Vernunft? Was hat ein äußerer glücklicher Zufall voraus 
vor einem glücklichen Einfall, der mich aus der Noth errettet? Was 
hilft mir die Sonne am Himmel, wenn nicht das Auge über meinen 
Schritten wacht? Und was ist der Glanz derselben gegen das Zauber— 
licht der Phantasie? was überhaupt das Wunder der äußern Natur 
gegen das Wunder der innern Natur, des Geistes? Ist aber das Auge 
ein Product meiner Hände, die Phantasie ein Product meines Willens, 
die Vernunft eine Erfindung, die ich gemacht? Oder habe ich alle diese 
herrlichen Kräfte und Talente, die mein Wesen begründen und von denen 
meine Existenz abhängt, mir selbst „gegeben“? Ist es also mein Ver— 
dienst, mein Werk, daß ich Mensch bin? Nein! ich anerkenne de— 
muüͤthig — so weit stimme ich vollkommen mit der Religion überein — 
daß ich weder das Auge, noch sonst ein Organ oder Talent selbst ge⸗ 
macht habe, sondern daß ich alle menschlichen Fähigkeiten — soll ich
	        
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