Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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des, wie der Mensch wollendes und wirkendes Wesen. Die Naturwir⸗ 
kungen, wie sie der Religion Gegenstand, sind zugleich Wirkungen 
der menschlichen Unwissenheit und Einbildungskraft, 
das Wesen oder die Ursache dieser Naturwirkungen zugleich das Wesen 
der menschlichen Unwissenheit und Einbildungskraft. 
Der Mensch ist durch die Kluft der Unwissenheit von der Natur geschie— 
den; er weiß nicht, wie das Gras wächst, wie das Kind im Mutter— 
leibe sich bildet, wie der Regen, wie der Blitz und Donner entsteht. 
„Hast du vernommen, heißt es im Hiob, wie breit die Erde sei? Sage 
an, weißt du solches alles? Hast du gesehen, wo der Hagel herkommt? 
Wer ist des Regens Vater? Weißt du, wie der Himmel zu regieren 
ist?“ Die Naturwirkungen als Erscheinungen, deren Grund, deren 
Stoff, deren natürliche Bedingungen der Mensch nicht weiß, sind daher 
für ihn Wirkungen einer schlechthin unbedingten und unbeschränkten Macht, 
der nichts unmöglich ist, die selbst aus Nichts die Welt hervorgebracht, 
weil sie noch heute aus Nichts, dem Nichts nämlich der menschlichen 
Unwissenheit, die Naturwirkungen hervorbringt. Bodenlos ist die mensch— 
liche Unwissenheit und grenzenlos die menschliche Einbildungskraft; die 
Naturmacht, durch die Unwissenheit ihres Bodens, durch die Phantasie 
ihrer Schranken beraubt, ist die göttliche Allmacht. Die Naturwirkun— 
gen als Werke der göttlichen Allmacht unterscheiden sich nicht mehr von 
den übernatürlichen Wirkungen, von den Wundern, von den Gegen— 
staͤnden des Glaubens; es ist dieselbe Macht, welche den natürlichen 
Tod und welche die übernatürliche Auferstehung von den Todten, die 
nur ein Gegenstand des Glaubens, hervorbringt, die selbe Macht, 
welche den Menschen auf dem natürlichen Wege erzeugt, und welche 
ihn aus Steinen oder aus Nichts, wenn sie will, hervorbringt. 
„So wie wir, heißt es z. B. in der fünfzigsten Sure des Koran, da— 
durch (durch Regen) eine todte Gegend neu beleben, ebenso wird auch 
die einstige Auferstehung sein . . Sind wir etwa abgemattet durch die 
erste Schöpfung (hat uns, nach der französischen Uebersetzung von Sa—
	        
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