Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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in der döll 
jectiver Grund dazu vorhanden ist oder nachgewiesen werden kann*). 
Aber dadurch hebt sich nicht der angegebene Grund des Thiercultus auf, 
denn was ein Ding nicht in der Wirklichkeit hat oder ist, das hat oder 
ist es im Glauben. Ist die Spinne giftig? nein; aber der Glaube hat sie 
vergiftet. Ist Euphrasia officinalis ein Augenmittel? nein; aber der 
Glaube hat sie zum „Augentrost“ gemacht. Bringt die Schwalbe Glück 
ins Haus? nein, aber der Glaube legt seine Gänseeier selbst in Schwal⸗ 
bennester. Wenn man deßwegen, weil die Menschen Thiere ohne Nutzen 
oder Schaden verehrten, das angegebene Princip der Thierverehrung 
verwerfen will, so ist das gerade so viel, als wenn man deßwegen, weil 
das Abracadabra und andere Amuletworte sinnlose Worte und daher 
eigentlich gar keine Worte seien, läugnen wollte, daß die Menschen Kräfte 
und Wirkungen solchen Worten hätten zuschreiben können. Uebersinn— 
lichkeit, das heißt Unsinn, Uebervernünftigkeit, das heißt Unvernunft, ist 
ja gerade das Wesen des religiösen Glaubens oder Aberglaubens. 
s Uebrigens kommen allerdings auch im Thiercultus die übrigen ange— 
hr gebenen Momente der Religion zum Vorschein. Wir haben ja bereits 
glͤs su⸗ gesehen, wie die religiöse Thierliebhaberei selbst Wanzen, Flöhen und 
lnn Läusen den Menschen zum Opfer bringt. — Bancroft in seiner Geschichte 
der Vereinigten Staaten von Nordamerika sagt sehr schön und richtig 
) Allerdings knüpft sich der Aberglaube meist an eine besondere, auffallende 
Eigenschaft oder Eigenthümlichkeit eines Gegenstandes an, aber der Sinn, die Bedeu— 
tung, die er in sie hineinlegt, ist eine rein willkürliche oder sübjective. Pauw in seinen 
Récherches philos. sur les Egyptiens et les Chinois (1774) erzählt da, wo er vom 
Thiercultus handelt, daß vor einigen Jahren französische Bauern eine Art religiösen 
Cultus den Puppen der auf der großen Brennnessel lebenden Raupe erwiesen hätten, 
weil sie in ihnen deutliche Spu en der Gottheit zu erblicken glaubten. Diese Zeichen 
der Gottheit waren offenbar nichts Andres als die glänzenden Goldpunkte, die sich auf 
der Puppe des Brennnesselfalters befinden. Mit Recht schickt daher Pauw dieser Er— 
zählung den Satz voraus: lesprit du petit peuple peut être fortement frappé par de 
petites choses. Dieser petit peuple im Menschen ist aber das sogenannte religiöse 
un Gefühl, d. h. das Gemüth, das sich sogar auch von dem Scheine der Goldpunkte einer 
en sin ob⸗ Puppe bezaubern und mystificiren, auf deutsch: vorn Narren halten läßt. 
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