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liche, die Andern das Unterschiedene und Individuelle heraussehen und
hervorheben. Was jedoch unsere specielle Frage betrifft, so war bei
den Römern und Griechen das Politische und Religiöse so innig ver⸗
bunden, daß von ihren Göttern, wenn man sie aus dieser Verbindung
herausreißt, eben so viel oder eben so wenig uͤberbleibt, als wenn ich
aus dem Römer den Römer, aus dem Griechen den Griechen heraus—
reißen und blos den Menschen übrig lassen will. „Jupiter, der seiner
allgemeinen Natur nach ein Gott für jedes Verhältniß war, stellte alle
Arten der Verwandtschaft und der bürgerlichen Beziehungen dar, so daß
man mit Creuzer sagen kann, sein Begriff sei zu einem idealen Rechts—
koͤrper ausgebildet worden. Er ist Polieus Geschützer der Stadt),
Metoikios, Phratrios (Beschützer der Brüderschaften), Herkeios“ u. s. w.
(E. Platner: Beiträge zur Kenntniß des attischen Rechts.) Was bleibt
mir denn nun aber vom Jupiter übrig, wenn ich dieses Corpus juris,
diese politischen Beiworte oder Rechtstitel weglasse? Nichts oder eben
so viel, als mir übrig bleibt, wenn man mir als Athenienser alle die
Rechte nimmt, die sich eben auf jene Prädicate gruüͤnden, wenn man mich
also einen Kopf kuͤrzer macht*). So gut das geistige Athen an das
oͤrtliche Athen gebunden war, das geistige Rom an das örtliche Rom —
an die unversetzbare Fortuna loci, wie sich Camillus bei Livius aus—
druͤckt in der Rede, worin er die Römer ermahnt, Rom nicht zu verlassen
— so gut, so nothwendig waren auch die römischen und griechischen
Goͤtter Territorial- oder Localgötter. Der capitolinische Jupiter ist zwar
in dem Kopf jedes Römers auch außer Rom, aber seine wirkliche Eristenz,
seinen „Sitz“ hat er nur auf dem Capitolium in Rom. Alle Plätze in
dieser Stadt, sagt Camillus in der erwähnten Rede, sind voll von Göt—
tern und gottesdienstlichen Gebräuchen (religiösen Beziehungen) Und
alle diese Götter wollt ihr verlassen? Hier ist das Capitolium, wo
einst ein menschlicher Kopf gefunden und geantwortet wurde, daß an
) Regulus capitis minor.
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