Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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wenn wir in unser eigenes, unmittelbar und untrüglich der Beobachtung u 
zugaäͤngliches Innere blicken, so finden wir keinen anderen entsprechenden l 
und umfassenden psychologischen Erklärungsgrund der Religion, als das nih 
Abhängigkeits-Gefühl oder Bewußtsein. Die alten Atheisten und selbst en 
sehr viele sowohl alte, als neuere Theisten haben die Furcht, welche aber sn 
eben nichts Andres ist als die populärste, augenfälligste Erscheinung des n 
Abhängigkeitsgefühls, für den Grund der Religion erklärt. Allgemein be— a 
kannt ist der Ausspruch des römischen Dichters: Primus in orbe Deos secit o 
Timor, d. h. die Furcht hat zuerst auf der Welt die Götter geschaffen. u 
Bei den Römern hat sogar das Wort: Furcht, Metus, die Bedeutung hu 
der Religion, und umgekehrt das Wort Religio bisweilen die Bedeutung n, 
der Furcht, Scheu, daher ein Dies religiosus, ein religiöser Tag bei ihnen a 
so viel ist, als ein unglücklicher Tag, ein Tag, den man fürchtet. Selbst le 
unsere deutsche Ehrfurcht — der Ausdruck der hoͤchsten, der religiösen an. 
Verehrung — ist, wie schon das Wort sagt, aus Ehre und Furcht zusam— 
mengesetzt. Die Erklärung der Religion aus der Furcht wird vor Allem 
durch die Erfahrung bestätigt, daß fast alle oder doch sehr viele rohe 
Völker nur oder doch hauptsächlich die furcht- und schreckenerregenden 
Erscheinungen oder Wirkungen der Natur zum Gegenstande der Religion 
machen. Die roheren Völker z. B. in Afrika, im nördlichen Asien und 
in Amerika „fürchten, wie Meiners in seiner Allgemeinen Kritischen Ge⸗ 
schichte der Religionen aus Reisebeschreibungen anführt, die Flüsse vor— 
zuͤglich an solchen Stellen, wo sie gefährliche Strudel oder Fälle bilden. il 
Wenn sie über solche Stellen hinfahren, so bitten sie um Gnade oder 
Verzeihung oder schlagen sich an die Brust und werfen den zürnenden 
Gottheiten Suhnopfer hin. Manche Negerkönige, die das Meer zu 
ihrem Fetische gewählt haben, fürchten sich vor demselben so sehr, daß i 
sie es nicht einmal zu sehen, viel weniger zu befahren wagen, weil sie vl 
glauben, daß der Anblick dieser furchtbaren Gottheit sie auf der Stelle tödten 
würde.“ So sollen auch, wie W. Marsden in seiner „natürlichen und 
buͤrgerlichen Beschreibung der Insel Sumadra“ erzählt, die tiefer im
	        
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