Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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sonderes Kapitel mit ihrer ausdrücklichen Namensüberschrift gewidmet 
habe, so haben mir meine Kritiker vorgeworfen, daß ich das Christen— 
thum nicht begriffen hätte. Wie aber in andern Cardinalpunkten — 
was freilich nur eine Behauptung ohne Beweis ist, aber ich habe nun 
einmal keine Zeit und keine Lust zu derartigen Beweisen, zu wesen- und 
gegenstandlosen Kritiken *) — wie also in andern Cardinalpunkten meine 
scharfsinnigen Gegner mir gerade meinen richtigen Blick und Tact zum 
Vorwurf machten, so auch in diesem Punkte. So wenig die Tugend 
oder Moral für sich selbst Ziel und Gegenstand der christlichen Liebe, so 
wenig ist das Laster oder die Sünde fuͤr sich selbst Gegenstand des christ— 
lichen Hasses. Gott ist das Ziel des Chriften; aber Gott ist nicht, we⸗ 
nigstens nicht nur ein moralisches Wesen; ein nur moralisches Wesen 
ist eine bloße Abstraction, ein bloßer Begriff, und ein Begriff hat keine 
Existenz. Gott aber ist, dem Glauben nach, ein Wesen, ein existirendes, 
wirkliches Wesen. Gott ist freilich heilig, gut, sündlos; er begreift die 
moralische Güte oder Vollkommenheit in sich, aber nur, weil er der In⸗— 
begriff aller Güter ist; er ist ja nichts Andres, als das personificirte 
und vergegenständlichte Wesen der mit allen Schätzen, allen Gütern und 
Vollkommenheit der Natur und Menschheit erfüllten und ausgeschmück— 
ten Einbildungskraft. Die moralische Vollkommenheit oder Tugend in 
Gott ist nicht die Kantische, die Tugend im Widerspruche mit der Nei— 
gung, mit dem Glückseligkeitstrieb; Gott, als der Inbegriff aller Gü— 
ter, ist die Seligkeit; wer daher Gott zu seinem Ziele hat, der hat aller⸗ 
dings die Sündlosigkeit, die moralische Vollkommenheit, aber unmittel— 
bar, ununterscheidbar zugleich die Seligkeit zu seinem Ziele. Indem ich, 
vnt ul sagt z. B. Augustin im zehnten Buche seiner Confessionen, dich meinen 
Gott suche, suche ich das selige Leben. Gott heißt bei den Christen das 
höchste Gut, aber eben so heißt auch die Vita aeterna, das ewige oder 
q mewir ) Die unwillkürlich groß gewordene Anmerkung zu dieser Anmerkung stehe am 
— Schlusse nach Nummer: 28.
	        
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