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selige Leben das höchste Gut. Der Christ beanstandet keineswegs die
Sünde allein oder für sich selbst, sondern zugleich ihre Bedingungen,
ihre Ursachen, ihre Complicen, beanstandet den ganzen Zusammenhang,
in welchem die Sünde nothwendig mit begriffen ist: die Welt, die Na—
tur, das Fleisch. Ist Freien Sünde? Nein; aber gleichwohl freien sie
nicht im Himmel, dem Ziel der christlichen Wünsche. Ist Essen und
Trinken eine Sünde? Nein; aber etwas Ungöttliches, vom Ideal des
Christenthums daher Ausgeschlossenes Das Wesen des Christenthums
wie ich es in der diesen Titel führenden Schrift mit einem philosophi⸗—
schen Ausdruck ganz richtig bezeichnete, ist die Subjectivität im guten
und schlimmen Sinne des Worts — die Subjectivität, da h. die von
den Schranken der Natur emancipirte, damit freilich von den Lüsten,
aber auch den Lasten des Fleisches erlöste Seele oder Persönlichkeit des
Menschen, oder vielmehr der vergötterte uneingeschränkte übernatür—
liche Glückseligkeitstrieb.
28) So sagt z. B. ein altes christliches Gesangbuch: „Wilt du
mich auf das Siechbett legen? Ich will. Soll ich in Mangel seyn? Ich
will .... Und giebst du mich dem Tod? Ich will; dein Will gescheh
o Gott! Wilt du mich in dem Himmel haben? Herr dieß ist meiner
Wünsche Füll. Soll ich dann zur Hölle traben? Ich weiß Herr, dieß
ist nicht dein Will. Daß dein Will so nicht wollen sollt, Hat dei—
nes Sohnes Tod gewollt.“ In einem andern Liede von Chr. Titius
heißt es: „Hülfe, die er aufgehoben, Hat er drum nicht aufgeschoben,
Hilst er nicht zu jeder Frist, Hilft er doch, wanns nöthig ist?““ „Es
hat kein Unglück, heißt es in einem andern Liede, nie so lang gewaͤhrt,
Es hat doch endlich wieder aufgehört.“ In einem andern: „Wies
Gott gefällt, so laufs hinaus, Ich laß die Vöglein sorgen, Kommt mir
das Glüuͤck heut nicht zu Haus, So wird es doch seyn morgen. Was
mir ist b'schert, Bleibt unverwehrt, Ob sichs schon thut verziehen, Dank