Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

L 
rischen und zeugungskräftigen Unendlichkeit und Universalität. *) 
Zum Schluß nur noch ein Wort über die Gattung in naturhistorischer 
Beziehung. „Die Thiere demonstriren zur Zeit der Brunst ad oculos 
die Gattungsallgemeinheit als eine Realität“. Nicht doch! die Brunst 
der Thiere, die Heftigkeit des Geschlechtstriebes selbst im Menschen de— 
monstrirt uns gar nichts Andres, als was jeder andere heftige Trieb 
uns auch demonstrirt. Der Zorn, der verletzte Selbsterhaltungstrieb, 
der unbefriedigte Nahrungstrieb, der Hunger haben dieselben Wirkun— 
gen, als der unbefriedigte Geschlechtstrieb, daß ste nämlich Thiere und 
Menschen in wahre Wuth und Raserei versetzen. Heißt es denn nicht 
schon im Homer vom Hunger: 
Denn unbändiger ist und schrecklicher nichts denn der Hunger, 
Welcher stets mit Gewalt an sich die Menschen erinnert; 
Auch dem Bekümmerten selbst, dem Gram die Seele belastet. 
So ist mir auch belastet mit Gram die Seele; doch immer 
Fordert er Speise und Trank der Wütherich; und ich vergesse 
Alles Leid, das ich trug, bis seine Begier ich gesättigt. 
Wenn daher die Brunst die Realität der Gattungsallgemeinheit, d. h. 
des Allgemeinbegriffs demonstrirt, so demonstrirt auch die Wuth des 
Hungers die Gattungsallgemeinheit meines Magens, die Wuth des 
Zorns über irgend eine mir zugefügte Beleidigung oder Verletzung die 
Gattungsallgemeinheit meines Ich. Der Geschlechtstrieb ist aber so 
wenig ein Freund der Philosophie, insbesondre der speculativen, und 
spricht so wenig zu Gunsten der Realität der Allgemeinbegriffe, daß er 
vielmehr die auf die äußerste Spitze getriebene Realität der Individua— 
litaͤt ausdrückt, denn erst in ihm vollendet sich die Individualität, wühlt 
) In praktischer Beziehung ist der Individualismus Socialismus, aber nicht im 
Sinne des französischen, die Individualität oder, was eins, was nur ein abstracterer 
Ausdruck derselben ist, die Freiheit aufhebenden Socialismus 
460
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.