Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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Wo der Thiercultus, um das Frühere zu recapituliren, auf den 
Standpunkt eines Culturmoments, einer nennenswerthen Erscheinung 
der Religionsgeschichte sich erhebt, da hat er einen humanen oder 
egoistisch en Grund. Ich gebrauche zum Entsetzen der heuchlerischen 
Theologen und phantastischen Philosophen als Bezeichnung des Grun— 
des und Wesens der Religion das Wort: Egoismus. Kritiklose 
Kritiker, welche an Worten kleben, haben daher in ihrer hohen Weisheit 
aus meiner „Philosophie“ herausgetüpfelt, daß ihr Resultat der Egois— 
mus und daß ich eben deswegen nicht in das Wesen der Religion ein⸗ 
gedrungen sei. Wenn ich aber das Wort Egoismus, wohlgemerkt! 
— in der Bedeutung eines philosophischen oder universellen Princips ge— 
brauche, so verstehe ich darunter nicht den Egoismus im gewöhnlichen 
Sinne des Wortes, wie das Jeder, der etwas Kritik im Leibe hat, aus 
den Verbindungen, aus dem Zusammenhang, aus dem Gegensaße, in 
welchem ich das Wort Egoismus gebrauche, ersehen kann; ich gebrauche 
es nämlich im Gegensatze zur Theologie oder Gottgläubigkeit, in deren 
Sinn, wenn sie streng und consequent ist, jede Liebe, die nicht Gott zum 
Ziel und Gegenstand hat, selbst die Liebe zu andern Menschen Egois— 
mus ist; ich verstehe daher darunter nicht den Egoismus des Menschen 
dem Menschen gegenüber, den moralischen Egoismus, nicht den Egois— 
mus, der bei Allem, was er thut, selbst scheinbar für Andere, nur sei— 
nen Vortheil im Auge hat, nicht den Egoismus, der das charakteri⸗ 
stische Merkmal des Philisters und Bourgeois, der das directe Gegen 
theil aller Ruͤcksichtslosigkeit im Denken und Handeln, aller Begeisterung, 
aller Genialität, aller Liebe ist. Ich verstehe unter Egoismus das 
L.o seiner Natur und folglich — denn die Vernunft des Menschen ist nichts 
größen M⸗ als die bewußte Natur des Menschen — seiner Vernunft gemäße sich 
den Wir⸗ selbst geltend Machen, sich selbst Behaupten des Menschen gegenüber 
n u Qude ällen unnatürlichen und unmenschlichen Forderungen, die die theologische 
liht u Heuchelei, die religiöse und speculative Phantastik, die politische Bruta⸗ 
lität und Despotie an den Menschen stellen. Ich verstehe unter Egois⸗
	        
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