Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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mus den nothwendigen, den unerläßlichen Egoismus, den, wie gesagt, 
nicht moralischen, sondern metaphyfischen, d. h. im Wesen des Men⸗ 
schen ohne Wissen und Willen begründeten Egoismus, den Egoismus, 
ohne welchen der Mensch gar nicht leben kann, denn um zu leben, muß 
ich fortwaͤhrend das mir Zuträgliche zu eigen machen, das mir Feind— 
liche und Schädliche vom Leibe halten, den Egoismus also, der selbst lel. 
im Organismus, in der Aneignung der afsimilirbaren, der Ausschei⸗ hh 
dung der nicht assimilirbaren Stoffe liegt. Ich verstehe unter Egois⸗ 9 
mus die Lebe des Menschen zu sich selbst, d. h. die Liebe zum 
menschlichen Wesen, die Liebe, welche der Anstoß zur Befriedi⸗ dill 
gung und Ausbildung aller der Triebe und Anlagen ist, ohne deren u 
Befriedigung und Ausbildung er kein wahrer, vollendeter Mensch ist n 
und sein kann; ich verstehe unter dem Egoismus die Liebe des Indivi⸗ del 
duums zu Individuen seines Gleichen; — denn was bin ich ohne sie, jur 
was ohne die Liebe zu Wesen meines Gleichen? — die Liebe des In⸗ 3 
dividuums zu sich selbst nur insofern, als jede Liebe eines Gegenstandes, 
eines Wesens eine indirecte Selbstliebe, denn ich kann ja nur lieben, 
was meinem Ideal, meinem Gefühl, meinem Wesen entspricht. Kurz 
ich verstehe unter Egoismus jenen Selbsterhaltungstrieb, kraft dessen 
der Mensch nicht sich, seinen Verstand, seinen Sinn, seinen Leib, um 
die Beispiele aus dem uns zunächst liegenden Thiercultus zu nehmen, 
geistlichen Eseln und Schafen, politischen Wölfen und Tigern, philoso⸗ J 
phischen Grillen und Nachteulen aufopfert, jenen Vernunftinstinct, wel⸗ 
cher dem Menschen sagt, daß es Thorheit, Unsinn ist, sich aus religiö⸗ 
ser Selbstverläugnung von Laäusen, Floͤhen und Wanzen das Blut aus 3 
dem Leibe und den Verstand aus dem Kopfe saugen, von Ottern und 
Schlangen sich vergiften, von Tigern und Wölfen zerfressen zu lassen; 
jenen Vernunftinstinct, welcher, wenn sich auch einmal der Mensch bis 
zur Verehrung der Thiere verirrt oder herabläßt, dem Menschen zuruft: 
Ehre nur die Thiere, in denen Du Dich selbst ehrst, die Thiere, die Dir 
nuͤtzlich, die Dir nothwendig sind; denn selbst die Thiere, die Du ehrst,
	        
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