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sprochen, daß der Gott im Unterschied vom Menschen, d. h. vom
absichtlichen, bewußten, willkührlichen Thun und Wesen nur die
Natur ist! Was sind selbst noch bei den spätesten Philosophen
des Alterthums die Res divinae, die göttlichen Dinge oder Gesetze
im Unterschiede von den menschlichen anders als die natürlichen
Dinge oder Gesetze!
Wie bei Späteren häufig Gott und Natur im Allgemeinen,
so wird auch bei Homer Gott und Natur, freilich nicht in dieser
Allgemeinheit — das Wort: Natur, gꝙooug fommt sogar bei
Homer nur ein einziges Mal vor, O. 10, 303 und bedeutet hier
nur das äußere Beschaffensein, das Aussehen, „die Gestalt“ —
entweder durch ein bloßes Und oder das Verhaältniß von Ursache
und Wirkung oder Werkzeug mit einander verbunden. So fragt
Odysseus den Agamemnon: „Welches Geschick bezwang dich des
langhinstreckenden Todes? hat dich vielleicht in Schiffen der Erd⸗
umstürmer (Poseidon) bezwungen, schreckliche Wind' aufregend zum
Ungestüm des Orkanes? haben dich feindliche Männer hinweg—
gerafft auf der Veste?“ O. 11, 398.) Aber gleichwie der Sache
nach es einerlei ist, ob ich mit Elpenor in demselben Gesange
(V. 61) sage: „Ach! mir beschied ein Dämon das Weh und be—
rauschender Weintrunk“, oder ob ich nur sage: ach! mir verhängte
das Todesgeschick unsäglicher (unmäßiger) Weintrunk; 185] so
ist es auch einerlei, ob ich den Tod des Agamemnon dem Poseidon
und den Winden oder allein den Winden, den Seestürmen zu—
schreibe. Sind ja doch ausdrücklich die Winde selbst Götter offen—
bar nur dazu, um den naturwidrigen Schriftgelehrten den Bücher⸗
staub aus den Augen zu blasen und die Ueberzeugung einzuhau—
chen, daß auch die Götter, deren Wesen nicht so leicht, so sinn⸗
fällig und vollständig, wie das der Winde, in die Natur sich
auflöst, doch ebensogut wie sie Naturwesen sind, und der, freilich