94 Prakt. Met. Sonderband 30 (1999)
In dem 2301 bzw. 7456 h lang bei 650°C ausgelagerten Material (Probenköpfe) waren die durch-
schnittlichen Teilchen- und Versetzungsstrukturparameter (ECD, AR, Subkorngröße und Marten-
sitlattenbreite) denen aus dem Ausgangszustand sehr ähnlich. In der 2301-h-Probe war die Dichte
der M23C6-Teilchen héher als in der 1012 h bzw. kleiner als in der 3071 h lang ausgelagerten
Probe. In dem Material mit der lingsten Auslagerungszeit von 7456 h wurde auch die hochste Kar-
biddichte festgestellt Bild 6.
6. Diskussion der Ergebnisse
Die Auswertung der Kriechversuche ergab ein hervorragendes Verhalten des neuen 9%Cr-Stahl mit
Kobalt und Bor im Hinblick auf die geforderte Kriechfestigkeit des Materials. Die vorausgesagte
hohe Zeitstandfestigkeit von 126 MPa nach 10° h bei 600°C erscheint glaubwürdig. Dieser Wert
wurde mit Hilfe der Larson-Miller-Extrapolation auf der Grundlage der Daten aus relativ langen
Versuchen (bis 21000 h) und mit einem konservativen Wert der LM-Konstante von 24 berechnet.
Die Werte der Kriechbruchdehnungen lagen bei allen bislang gebrochenen Proben, die bei 600 und
650°C unterschiedlichen Spannungen ausgesetzten waren, deutlich über den geforderten 12%.
Das ausgezeichnete Kriechverhalten der neuen Stahlvariante ist als Folge differenzierter mi-
krostruktureller Prozesse während der Verformung zu verstehen. Die Kriechfestigkeit wird dabei
als Ergebnis der Wechselwirkung von verfestigenden Vorgängen und Erholungsprozessen gesehen,
die im Material während der gesamten Kriechverformung gleichzeitig stattfinden.
Während des primären Kriechens, jenes Stadium der Verformung, das nach der Belastung des Ma-
terials mit abnehmendem Verlauf der Dehnrate in den Bereich der minimalen Kriechrate mündet,
kommt es zu einer massiven zusätzlichen Ausscheidung der M23C6-Teilchen. Dies fithrt zusam-
men mit den sich in Auflösung befindlichen Mo2C-Teilchen zu einer Ausscheidungshärtung.
Die Versetzungsdichte und Subkorngröße bleiben im Vergleich zum Ausgangszustand nahezu un-
verändert. Dies deutet darauf hin, daß einerseits die Erholungsprozesse (Abnahme der Versetzungs-
dichte durch Annihilation, Ausbildung von definierten Subkorngrenzen) stark behindert bzw. ver-
zögert werden. Andererseits führen die während der Verformung zusätzlich erzeugten Versetzun-
gen zu einer Versetzungsverfestigung.
Die sehr niedrigen Dehnraten im Bereich der minimalen Kriechrate sind als Folge dieser Vorgänge
zu deuten. Die Gefügeparameter sind bis auf die starke Zunahme der Dichte der M23C6-Ausschei-
dungen jenen vom Ausgangszustand sehr ähnlich. Die M23C6-Teilchen, deren Großteil an den
Grenzen der Martensitlatten sowie Subkörner positioniert ist, verankern und stabilisieren die Ver-
setzungsstrukturen. Durch ihre Resistenz hinsichtlich des Wachstums und der Formänderung
(geringe Zu- bzw. Abnahme des ECD bzw. AR) behindern sie das Wachstum der Subkörner und
tragen dadurch entscheidend zu Begrenzung der freien Weglänge der beweglichen Versetzungen
bei.
Die Darstellung der minimalen Kriechraten als Funktion der Spannung bei 650°C erlaubte die Be-
stimmung des effektiven Spannungsexponenten von n-4.7. Dieser Wert ist typisch für das Verset-
zungskriechen, das durch Spannungsexponenten in der Größenordnung von 3-5 gekennzeichnet ist
[8]. Demnach wurde folgende Gleichung nach dem modifizierten Potenzgesetz zur Beschreibung
der Verformung im Bereich der minimalen Kriechrate aufgestellt:
emin=A*[GbD/kT]*[(69-644)/G1”
mit: A als Geometriekonstante, G als Schubmodul, b als Burgers-Vektor, D als Diffusionskoef-
fizient, k als Bolzman Konstante, T als Temperatur, 69 als Anfangsspannung, Oy, als Schwellen-
spannung. Der Wert der Schwellenspannung ist zum Verständnis der durch die Gleichung