Full text: Immanuel Kant's sämmtliche Werke (6. Band)

10 Ueber den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein ete 
säumt anzumerken, dass dadurch dem Menschen nicht angesonnen 
werde, er solle, wenn es auf Pflichtbefolgung ankommt, seinem natür- 
lichen Zwecke, der Glückseligkeit, entsagen; denn das kann er nicht, 
so wie kein endliches vernünftiges Wesen überhaupt; sondern er müsse, 
wenn das Gebot der Pflicht eintritt, gänzlich von dieser Rücksicht abs- 
trahiren; er müsse sie durchaus nicht zur Bedingung der Befol- 
gung des ihm durch die Vernunft vorgeschriebenen Gesetzes machen; 
ja sogar, so viel ihm möglich ist, sich bewusst zu werden suchen, dass 
sich keine von jener hergeleitete Triebfeder in die Pflichtbestimmung 
unbemerkt mit einmische; welches dadurch bewirkt wird, dass man die 
Pflicht lieber mit Aufopferungen verbunden vorstellt, welche ihre Beob- 
achtung (die Tugend) kostet, als mit den Vortheilen, die sie uns ein- 
bringt, um das Pflichtgebot in seinem ganzen, unbedingten Gehorsam 
fordernden,- sich selbst genugsamen und keines anderen Einflusses be- 
dürftigen Ansehen sich vorstellig zu machen. 
a) Diesen meinen Satz drückt Herr GARVE nun so aus: „ich hätte 
behauptet, dass die Beobachtung des moralischen Gesetzes, ganz ohne 
Rücksicht auf Glückseligkeit, der einzige Endzweck für den Men- 
schen sei, dass sie als der einzige Zweck des Schöpfers angesehen wer- 
den müsse.‘ (Nach meiner Theorie ist weder die Moralität des Men- 
schen für sich, noch die Glückseligkeit für sich allein, sondern das 
höchste in der Welt mögliche Gut, welches in der Vereinigung und Zu- 
sammenstimmung beider besteht, der einzige Zweck des Schöpfers.) 
b) Ich hatte ferner bemerkt, dass dieser Begriff von Pflicht keinen 
besondern Zweck zum Grunde zu legen nöthig habe, vielmehr einen an- 
dern Zweck für den Willen des Menschen herbeifü hre, nämlich: auf 
das höchste in der Welt mögliche Gut, (die im Weltganzen mit der 
reinsten Sittlichkeit auch verbundene, allgemeine, jener gemässe Glück- 
seligkeit) nach allem Vermögen hinzuwirken; welches, da es zwar von 
einer, aber nicht von beiden Seiten Zzusammengenommen, in unserer Ge- 
walt ist, der Vernunft den Glauben an einen moralischen Weltbeherr- 
scher und an ein künftiges Leben in praktischer Absicht abnöthigt. 
Nicht als ob unter der Voraussetzung beider der allgemeine Pflichtbe- 
griff allererst „Halt und Festigkeit,“ d. i. einen sicheren Grund und die 
erforderliche Stärke einer Triebfeder, sondern damit er nur an jenem 
Vernunft schickt, nicht zusammenstimmt und darin nicht mit enthalten sein kann. 
(d. i. welcher der Moralität widerstreitet.)-)
	        
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