Full text: Immanuel Kant's sämmtliche Werke (6. Band)

12 Ueber den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein ete. 
zeigt, dass, wo es auf den eigentlichen Standpunkt ankömmt, darauf. 
gar nicht, sondern blos_auf die allgemeine Moral Rücksicht enom- 
men wird. 
cc), Herr GArve bringt diese Sätze unter folgende Ausdrücke: 
„dass der Tugendhafte jenen Gesichtspunkt (der eigenen Glückseligkeit) 
nie aus den Augen verlieren könne, noch dürfe, — weil er sonst. den 
Uebergang in die unsichtbare Welt, den zur Ueberzeugung vom Dasein 
ottes und von der Unsterblichkeit gänzlich verlöre; die doch nach 
dieser Theorie durchaus nothwendig ist, dem System Halt und 
Festigkeit zu geben ;“ und beschliesst damit, die Summe der mir zu- 
geschriebenen Behauptung kurz und gut so zusammenzufassen: „der 
ugendhafte strebt jenen Principien zu Folge unaufhörlich darnach, 
der Glückseligkeit würdig, aber, insofern er wahrhaftig tugendhaft ist, 
nie darnach, glücklich zu sein.“ (Das Wort insofern macht hier eine 
Zweideutigkeit, die vorher ausgeglichen werden muss. Es kann so viel 
bedeuten, als: in dem Actus, da er sich als Tugendhafter seiner Pflicht 
ınterwirft; und da stimmt dieser Satz mit meiner Theorie vollkommen 
zusammen, Oder: wenn er überhaupt nur tugendhaft ist, und also 
selbst da, wo es nicht auf Pflicht ankommt und ihr nicht widerstritten 
ird, solle der Tugendhafte auf Glückseligkeit doch gar keine Rücksicht 
ehmen; und da widerspricht das meinen Behauptungen gänzlich.) 
Diese Einwürfe sind also nichts, als Missverständnisse, (denn für 
issdeutungen mag ich sie nicht halten ;) deren Möglichkeit befremden 
nüsste, wenn nicht der menschliche Hang, seinem einmal gewohnten 
Gedankengange auch in der Beurtheilung fremder Gedanken zu folgen 
und so jenen in diese hineinzutragen, ein solches Phänomen hinreichend 
erklärte. 
Auf diese polemische Behandlung des obigen moralischen Prineips 
olgt nun eine dogmatische Behauptung des Gegentheils. Herr GARVE 
schliesst nämlich analytisch so: „In der Ordnung der Begriffe muss 
as Wahrnehmen und Unterscheiden der Zustände, wodurch einem vor 
dem andern der Vorzug gegeben wird, vor „der Wahl eines unter den- 
elben, und also vor der Vorausbestimmung eines gewissen Zwecks vor- 
hergehen. Kin Zustand aber, den ein mit Bewusstsein seiner selbst und 
eines Zustandes begabtes Wesen dann, wenn dieser Zustand gegen- 
värtig ist und von ihm wahrgenommen wird, anderen Arten zu sein 
orzieht, ist ein guter Zustand; und eine Reihe solcher guten Zu- 
stände ist_der allgemeinste Begriff, den _das_Wort Glückseligkeit
	        
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