Full text: Immanuel Kant's sämmtliche Werke (6. Band)

514 Ueber den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein etc 
deren Motiv nicht das unbedingte Vernunftgesetz (Pflicht), sondern ein 
von uns willkührlich zum Grunde gelegter Zweck ist; denn dieser 
gehört zur Summe aller Zwecke, deren Erreichung Glückseligkeit ge- 
nannt wird; und eine Handlung kann mehr, die andere weniger zu 
meiner Glückseligkeit beitragen, mithin besser oder schlechter sein, als 
die andere. — Das Vorziehen aber eines Zustandes der Willens- 
bestimmung vor dem andern ist blos ein Aetus der Freiheit, (res merae 
Jacultatis, wie die Juristen sagen;) bei welchem, ob diese (Willensbestim- 
mung) an sich gut oder böse ist, gar nicht in Betrachtung gezogen wird, 
mithin in Ansehung beider gleichgeltend. 
Ein Zustand, in Verknüpfung mit einem gewissen gegebenen 
Zwecke zu sein, den ich jedem anderen von derselben Art vor- 
ziehe, ist ein comparativ-besserer Zustand, nämlich im Felde der Glück- 
seligkeit, (die nie anders, als blos bedingter Weise, sofern man ihrer 
würdig ist, von der Vernunft als Gut anerkannt wird.) Derjenige 
Zaustand aber, da ich, im Falle der Collision gewisser meiner Zwecke 
mit dem moralischen Gesetze der Pflicht, diese vorzuziehen mir bewusst 
bin, ist nicht blos ein besserer, sondern der allein an sich gute Zustand; 
ein Gutes aus einem ganz andern Felde, wo auf Zwecke, die sich mir 
anbieten mögen, (mithin auf ihre Summe, die Glückseligkeit) gar nicht 
Rücksicht genommen wird, und wo nicht die Materie der Willkühr, (ein 
ihr zum Grunde gelegtes Objeet,) sondern die blose Form der allgemei- 
nen Gresetzmässigkeit ihrer Maxime den Bestimmungsgrund derselben 
ausmacht. — Also kann keinesweges gesagt werden, dass jeder Zustand, 
den ich jeder andern Art zu sein vorziehe, von mir zur Glückseligkeit 
gerechnet werde. Denn zuerst muss ich sicher sein, dass ich meiner 
Pflicht nicht’zuwider handle; nachher allererst ist es mir erlaubt, mich 
nach Glückseligkeit umzusehen, wie viel ich deren mit jenem meinem 
moralisch-, (nicht physisch-) guten Zustande vereinigen kann.* 
* Glückseligkeit enthält alles (und auch nichts mehr, als) was uns die Natur 
verschaffen, Tugend aber das, was Niemand, als der Mensch selbst sich geben oder 
nehmen kann. Wollte man dagegen sagen, dass durch die Abweichung von der letz- 
teren der Mensch sich doch wenigstens Vorwürfe und reinen moralischen Selbsttadel, 
mithin Unzufriedenheit zuziehen, folglich sich unglücklich machen könne; so mag: 
das allenfalls eingeräumt werden. Aber dieser reinen moralischen Unzufriedenheit, 
(nicht aus den für ihn nachtheiligen Folgen der Handlung, sondern aus ihrer Gesetz- 
widrigkeit selbst,) ist nur der Tugendhafte oder der auf dem Wege ist, es’zu werden, 
fähig. Folglich ist sie nicht die Ursache, sondern nur die Wirkung davon, dass er
	        
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