514 Ueber den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein etc
deren Motiv nicht das unbedingte Vernunftgesetz (Pflicht), sondern ein
von uns willkührlich zum Grunde gelegter Zweck ist; denn dieser
gehört zur Summe aller Zwecke, deren Erreichung Glückseligkeit ge-
nannt wird; und eine Handlung kann mehr, die andere weniger zu
meiner Glückseligkeit beitragen, mithin besser oder schlechter sein, als
die andere. — Das Vorziehen aber eines Zustandes der Willens-
bestimmung vor dem andern ist blos ein Aetus der Freiheit, (res merae
Jacultatis, wie die Juristen sagen;) bei welchem, ob diese (Willensbestim-
mung) an sich gut oder böse ist, gar nicht in Betrachtung gezogen wird,
mithin in Ansehung beider gleichgeltend.
Ein Zustand, in Verknüpfung mit einem gewissen gegebenen
Zwecke zu sein, den ich jedem anderen von derselben Art vor-
ziehe, ist ein comparativ-besserer Zustand, nämlich im Felde der Glück-
seligkeit, (die nie anders, als blos bedingter Weise, sofern man ihrer
würdig ist, von der Vernunft als Gut anerkannt wird.) Derjenige
Zaustand aber, da ich, im Falle der Collision gewisser meiner Zwecke
mit dem moralischen Gesetze der Pflicht, diese vorzuziehen mir bewusst
bin, ist nicht blos ein besserer, sondern der allein an sich gute Zustand;
ein Gutes aus einem ganz andern Felde, wo auf Zwecke, die sich mir
anbieten mögen, (mithin auf ihre Summe, die Glückseligkeit) gar nicht
Rücksicht genommen wird, und wo nicht die Materie der Willkühr, (ein
ihr zum Grunde gelegtes Objeet,) sondern die blose Form der allgemei-
nen Gresetzmässigkeit ihrer Maxime den Bestimmungsgrund derselben
ausmacht. — Also kann keinesweges gesagt werden, dass jeder Zustand,
den ich jeder andern Art zu sein vorziehe, von mir zur Glückseligkeit
gerechnet werde. Denn zuerst muss ich sicher sein, dass ich meiner
Pflicht nicht’zuwider handle; nachher allererst ist es mir erlaubt, mich
nach Glückseligkeit umzusehen, wie viel ich deren mit jenem meinem
moralisch-, (nicht physisch-) guten Zustande vereinigen kann.*
* Glückseligkeit enthält alles (und auch nichts mehr, als) was uns die Natur
verschaffen, Tugend aber das, was Niemand, als der Mensch selbst sich geben oder
nehmen kann. Wollte man dagegen sagen, dass durch die Abweichung von der letz-
teren der Mensch sich doch wenigstens Vorwürfe und reinen moralischen Selbsttadel,
mithin Unzufriedenheit zuziehen, folglich sich unglücklich machen könne; so mag:
das allenfalls eingeräumt werden. Aber dieser reinen moralischen Unzufriedenheit,
(nicht aus den für ihn nachtheiligen Folgen der Handlung, sondern aus ihrer Gesetz-
widrigkeit selbst,) ist nur der Tugendhafte oder der auf dem Wege ist, es’zu werden,
fähig. Folglich ist sie nicht die Ursache, sondern nur die Wirkung davon, dass er