Full text: Kant

der Erfahrung aus den Prinzipien, d. h. aus der Gegenstandslogik ab 
leitbar wären. Erst dann wäre der Gegebenheitscharakter der Erfah- 
rungsinhalte ausgeschaltet und somit der unendliche Progreß der Er- 
kenntnis umgewandelt in den statischen Begriff einer zwar nicht ab- 
geschlossenen, aber jedenfalls doch prinzipiell abschließbaren Er- 
kenntnis. Nach dem Gesetz von Grund und Folge wären die Erfah- 
rungsinhalte an die logische Einheit der gegenständlichen Grundsätze 
der Erfahrung angeknüpft und durch diese zu einem abschließbaren 
System zusammengebunden. Könnte die transzendentale Logik auch 
die Inhalte der Erfahrung produzieren — denn darauf käme diese 
Idee der Abschließbarkeit der Erfahrungserkenntnis hinaus — dann 
wäre nicht nur für mein Ich und meine fortschreitende Erfahrung, 
sondern für jedes Ich und seine fortschreitende Erkenntnis die völ- 
lige Einheit garantiert. Die prinzipielle Ableitbarkeit jedes Inhaltes 
würde fordern, daß die Gesamtheit der möglichen Erfahrungsinhalte 
sich restlos in ein System von Urteilen auflösen lassen müsse. Totale, 
endgültige Bestimmtheit jedes Gegenstandes würde die notwendige 
Folge sein, so daß das Dasein eines Gegenstandes nichts Unerkanntes 
mehr einschließen könnte. Das erkennende Ich wäre im vollen Be- 
wußtseinsbesitz der möglichen Erlebnisse, die ein wirklicher Gegen- 
stand darbieten kann. Erleben von Wirklichem und Erkennen von 
Wirklichem wäre nicht mehr unterscheidbar geworden. Dasein und 
Gültiges müßten zusammenschmelzen. Gedanklichkeit und Dinglich- 
keit näherten sich einander an, um identisch zu werden. 
4. Die Ideen dieser Vollkommenheit und Vollendetheit der Erkennt- 
nis gegenüber ihren Inhalten läßt sich daher zunächst negativ aus- 
drücken durch den Begriff eines Gedanken-Dinges, das den Bedingun- 
gen der immer fortschreitenden, also auf dem Gegebensein der Inhalte 
für ein Bewußtsein beruhenden Erkenntnis grundsätzlich entrückt 
ist. Den dinglichen Schein dieses noumenon hebt Kant im Begriff des 
Dinges an sich hervor. Weil die Erkenntnis nicht diesem Ideal zu 
entsprechen vermag, darum „gibt‘“ es ein Ding an sich, das niemals 
erkennbar ist. Die Erkenntnisfunktion an diesem Begriffe tritt durch 
das noumenon hervor, die Seinsfunktion und damit die positive Wen- 
dung an ihm durch das Ding an sich. Die beiden Funktionen aber 
zielen auf denselben identischen Punkt. 
Kant hat die erkenntnistheoretische Seite dieses Problems einer 
idealen Erkenntnisweise noch schärfer herausgearbeitet. Im noume- 
non, sofern es nicht bloß als Grenzbegriff, sondern als dinglich seiend 
betrachtet wird, laufen gestaltende Begriffsfunktion und gebende 
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