Full text: Kant

gewesen, gerade im Pflichtbestand als Material seiner schürfenden 
Analysen eine der Hauptkategorien des Kulturgefüges mit einzufan- 
gen, nämlich das sittliche Sollen. 
2. Kultur ist, wir wissen es schon, ein Gefüge, das durch Hand- 
lungen vernünftiger, sich Ziele setzender Wesen entstanden ist, die 
durch diese Zielsetzung eine zwischen den zu verändernden Dingen 
nicht enthaltene, neue Ordnung herbeiführen. Stein und Holz werden 
in Werkzeugformen umgestaltet, denen sich als ein besonderes Ge- 
staltprinzip oft noch die ästhetische Formung zugesellt. Erkenntnis 
der Wahrheit, Sittlichkeit erweisen sich als wertvolle Mächte für die 
Formung der Kultur. Das Handeln innerhalb und für die Kulturord- 
nung muß daher selbst ordnungshaft, muß gesetzmäßig sein. Ein 
Prinzip der Kulturordnung muß sich also ergeben, wenn man das 
kulturhafte Handeln auf die Bedingungen seiner Gesetzmäßigkeit hin 
untersucht. Es muß eine Gesetzlichkeit sein, die das Handeln aller 
empirischen Iche in der Sinneinheit der Kultur umschließt. Das acht- 
zehnte Jahrhundert, aus dessen Abhängigkeit Kant nicht ganz heraus- 
getreten ist, hatte die Theorie der Kultureinheit des staatlichen Lebens 
auf die mechanistische Ordnung der Natur mit ihren isolierten Kör- 
peratomen aufgebaut. Der Staat mit seinen Individuen war nur ‚eine 
Verlängerung und Komplizierung dieser Atomkräfte, die sich nach 
mechanischen Gesetzen anziehen und abstoßen, ins Geistige hinein. 
Die Individuen finden sich zur staatlichen Gemeinschaft nur auf der 
Grundlage eines allgemeinen sozialen Vertrages zusammen, wie Rous- 
seau diese Form der Staatsprinzipien ausdrückt. Es lag daher auch 
für Kant nahe, die Gesetzlichkeit des Handelns durch eine Analyse 
des naturhaften Verhaltens der Menschen zu begründen. Er aber lehnt 
gerade die naturalistische Theorie des Handelns ab, um eine ihrem 
Gefüge entgegengesetzte neue Auffassung schaffen zu können. Daher 
wird er trotz aller historischen Begrenztheit seiner Theorie und trotz 
gewisser Rückfälle in den Naturalismus zum Begründer des Kultur- 
und Wertbegriffs. Weil Kant im Begreifen der Natur den äußersten 
Abstand von der geistigen Struktur der Kulturordnung erreicht hatte, 
gelang es ihm, das Eigentümliche der Kulturzusammenhänge zu ent- 
decken. Ja, die Kultur hob sich für seinen Blick logisch so scharf von 
der Naturwirklichkeit ab, daß er eine theoretisch unübersteigbare 
Kluft zwischen ihnen auftun zu müssen glaubte, indem er die Kultur- 
prinzipien in ein Reich jenseits des Gegenstandes der Erfahrung ver- 
legte. Kants Naturbegriff ist daher wertindifferent und die Entwick- 
lung der Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert hat an 
98
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.