Full text: Kant

diesem Gesetz einen Sollenscharakter aufzuprägen, dann muß es mög- 
lich sein, das gesollte und erstrebte Glück auch in einem wenigstens 
relativen Maße zu erreichen. Dieser Gesichtspunkt aber vernichtet 
einmal den Allgemeinheitscharakter des Gebotes, weil die erstrebten 
Lustgefühle von Individuum zu Individuum wie auch von Situation 
zu Situation verschieden sind; andererseits müßte jedes empirische 
Ich zugleich die Gesamtheit der Folgen einer Handlung übersehen 
können, um insgesamt ein größeres „Quantum“ Glück gegen die dabei 
auftretenden Nachteile einzutauschen. Mithin würde etwas gefordert 
werden, was weder allgemein verlangt werden kann, noch überhaupt 
geboten werden kann, weil es nicht durchführbar ist. 
3. Für Kant ist, wie die bisherigen Betrachtungen zeigten, die 
naturalistische Theorie der Gesetzlichkeit des Handelns identisch mit 
der Annahme eines „materialen‘“ Bestimmungsfaktors des Willens. 
Und diese Objektsbestimmtheit spitzt sich für Kant auf das Sinnlich- 
Wahrnehmbare und somit auf das sinnliche Lustgefühl zu, weil sich 
ihm wieder der engere Begriff des erfahrbaren Inhaltes zusamt seiner 
Doppeldeutigkeit des sinnlichen Faktors vordrängt, der den Inhalt 
als möglichen Erfahrungsinhalt, als Gegenstand „sinnlicher‘“ Wahr- 
nehmung deutet. Diese Einschränkung führt nun aber unweigerlich 
zum Eudämonismus, den er aus den genannten Gründen ablehnen 
mußte. Denn am Gebotscharakter alles Sittlichen hält Kant fest, weil 
ihm anderenfalls nur der Seinscharakter, also das kausal bedingte 
Sein übrig bleiben würde. Um den Selbstwert des Trägers sittlicher 
Handlungen zu retten, muß Kant das moralische Ich von den Ketten 
der naturwissenschaftlichen Kausalität befreien und ihm eine „Kau- 
salität aus Freiheit“ zuerkennen. D. h. der Wille gehört noch einer 
anderen Ordnung als der Natur an und deren Prinzip ist die Freiheit. 
Solange sich der Wille von einem gegebenen sinnlichen Inhalte be- 
stimmen läßt, ist er kausal bestimmt und darum unfrei. Wohl darf 
sich das Streben auf Gegenstände der Erfahrung richten, aber der 
Grund dieser Richtung darf nicht in ihrer Einwirkung auf das Ich 
liegen, sondern muß aus dem Ich selbst hervorquellen. Darum fesselt 
jedes. Glücksstreben unsere Freiheit, unser eigentliches innerstes 
Selbst. Der theoretische Idealismus Kants bedeutet die Herrschaft 
unseres ichgegliederten Verstandes über die sinnlich erfahrbaren 
Naturgegenstände; sein praktischer Idealismus verlangt, daß die 
innere Freiheit unseres Handelns das Gesetz darstellt, das über das 
gegebene Material unserer sinnlichen Triebe und Neigungen herrscht, 
indem es sie durch das Sittengesetz unseres Ich formt. 
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