Full text: Kant

ins Einvernehmen mit der volonte generale der Gesamtheit gesetzt 
werden. Es ist nur die schmeichlerische Einbildung eines Zeitalters 
von hochgespanntem Individualismus, zu meinen, daß man zu einem 
ganz besonderen Handeln, Genießen und Sichausleben berufen sei, 
weil man anders als die anderen sei. Vor der Rechtsprechung des 
moralischen Gesetzes sind wir alle gleich. Wir sind ihm alle in glei- 
cher Weise verpflichtet. Hier gibt es keinen Unterschied in dem Maße 
der Verpflichtung. Niemand kann von ihm entbunden werden, der 
Alltagsmensch ebensowenig wie der große Genius, der Bettler so wenig 
wie der Fürst. Kant mag auf den Fürsten hingeblickt haben, auf dem 
das Leben lag wie eine einzige große Pflicht“. Die Kräfte des preußi- 
schen Staates zu behaupten und höher zu entwickeln, war die Auf- 
gabe und der sittliche Sinn des Lebens Friedrichs des Großen. Und 
dieser König beugt sich mit vollem Bewußtsein unter den sozialen 
Sinn des sittlichen Gesetzes: Ich bin der erste Diener des Staates. 
Der Zusammenhang des Sittengesetzes mit der Wirklichkeit und 
Kultur, der seine Mannigfaltigkeit für die konkreten Fälle erschließt, 
kommt erst in dem Worte Gesetzgebung zum Vorschein. Wer gibt 
diese allgemeine Gesetzgebung? Man braucht hier nicht an meta- 
physische Urheber zu denken. Es ist eine Gesetzgebung gemeint, von 
Menschen für Menschen gegeben, wie es die Rechtsnormen im Kultur- 
staat sind. Aber Kant denkt sie sich nicht als eine mit äußeren Mitteln 
aufgezwungene rechtliche Regelung des Handelns der Menschen, son- 
dern es sind freiwillig auf sich zu nehmende Normen. Hier setzt Kant 
in der Tat eine nähere Bestimmung der Richtung, in der sich das 
Handeln bewegen soll. Von hier aus läßt sich eine bestimmte Bezie- 
hung zu den Inhalten des Lebens herstellen. Gewiß hütet Kant selbst 
sich davor, dem Begriff der allgemeinen Gesetzgebung eine einengende 
nähere Inhaltsbestimmung zu geben. Die Gefahr, dann sinnliche Er- 
fahrungsinhalte in die Definition des Begriffs der Sittlichkeit ein- 
fließen zu lassen, verbietet ihm, nähere Bestimmungen dieser zu- 
nächst wenig klaren Ausdrucksweise zu geben. Allein man wird hier 
andere Linien seiner Gedankengänge verlängern dürfen, um ihn tie- 
fer zu verstehen. 
Kant lehnt vor allem die Einmischung sinnlicher Inhalte ab. Aber 
es gibt noch andere Möglichkeiten, es gibt nichtsinnliche Inhalte. 
Diese brauchen nicht übersinnlich, nicht metaphysischer Art zu sein. 
Sie sind bei ihrer Nichtsinnlichkeit dennoch auf die sinnliche Wahr- 
nehmung bezogen, und Kant selbst hat in seiner Logik, wie wir ja 
schon wissen, ein ganzes System solcher durchaus kritischer, nicht- 
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