Full text: Kant

ökonomischen Wert einem Anderen anvertrauen darf; vielleicht gibt 
es kein solches Recht von allgemeiner Gültigkeit und dann ist dieser 
Begriff in sich selbst widersprechend, wenn man aus ihm die prin- 
zipielle Unmöglichkeit der Unterschlagung folgert. Auch diese Frage 
ist ohne Beziehung zu allgemein gültigen Werten nicht lösbar. 
a Mag man die Beispiele immerhin nur als Illustrationen des allge- 
4 meinen Sittengesetzes ansehen, jedenfalls zeigt sich, daß weder seine 
a allgemeine Fassung noch auch die Beispiele, zusammen mit dem 
1 Satze des Widerspruches imstande sind, zureichende moralische Kri- 
terien für die Beurteilung der einzelnen Handlung abzugeben. 
4. Gesetzt aber, es bestände die Möglichkeit, die einzelne Handlung 
zu typisieren, — schon Kants Beispiele sind im Grunde typisierte Fälle 
) — so fragt es sich, ob dann die allgemeine Gesetzgebung sich als zu- 
) reichendes Kriterium erweist. Bereits vorhin wurde kurz darauf ver- 
; wiesen, daß der Satz: „Jeder soll lügen‘, rein formal betrachtet, ge- 
eignet ist, als Teilstück einer allgemeinen Gesetzgebung zu gelten. Die 
Verwirklichung würde zwar vielleicht die Vernichtung alles Gemein- 
schaftslebens und damit den Untergang der Menschheit herbeiführen; 
doch sind dies einmal unübersehbare zukünftige Tatsachen und an- 
derseits braucht sich ja die allgemeine Gesetzgebung überhaupt nicht 
um Zukünftiges zu kümmern. Nun ist aber Kants Blick in der Kritik 
der praktischen Vernunft, wie in seinen religions- und geschichts- 
philosophischen Schriften ganz und gar auf die optimistisch geschaute 
Zukunft der Menschheit gerichtet, so daß sowohl hieraus wie aus der 
ganzen Bedrängnis, in die uns unsere Betrachtungen dem Sittenge- 
setze gegenüber geführt haben, immer deutlicher sichtbar wird, daß 
diese allgemeine Gesetzgebung für Kant ganz bestimmte Beziehungen 
zu konkreteren Problemen haben muß. Im Hintergrunde dieser for- 
mal abstrakten Allgemeinheit muß eine Fülle konkreter Besonderun- 
gen liegen, die es möglich macht, dem Sittengesetz die Beziehung zum 
einzelnen Fall zu vermitteln. Der Widerspruchsatz braucht dabei 
seine Bedeutung für die praktische Entscheidung nicht zu verlieren, 
nur kommt ihm gegenüber der neuen Inhaltlichkeit bloß eine sekun- 
däre Funktion zu. 
Die allgemeine Gesetzgebung muß eine Sinneinheit darstellen, die 
sowohl allgemein gültig wie auch werthaft ist. Das heißt, sie stellt 
nichts anderes als das Ideal der Kulturwertordnung dar. Damit ist 
jene frühere Formulierung: Handle so, daß die Maxime deines Willens 
a jederzeit die unbedingten Kulturwerte zum letzten Ziele hat, erst er- 
n härtet. Mit der Kulturwertordnung sind allgemein gültige, für jeden 
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