10. Die Einzigkeit der Handlung
und die Allgemeinheit des Sittengesetzes
1. Beliebiges Geschehen ist eine Veränderung in der Zeit. Natur-
ereignisse und geschichtliche Geschehnisse stehen unter den zeit-
räumlichen Bedingungen wie unter den Kategorien der Substanz,
Kausalität und Wechselwirkung. Es sind Ereignisse, aber keine
Handlungen. Auch die Handlung ist zwar ein Wirkliches, ihr kommt
die Bedingtheit durch Zeit und Raum, ebenso wie kategoriale Be-
stimmtheit zu. Aber sie weist gegenüber dem Ereignis eine Besonder-
heit auf, die nicht gestattet, die Struktur der Handlung mit der des
allgemeinen Geschehens zu identifizieren. Handlungen sind Verände-
rungen, die ihren Ausgangspunkt, ihren Anfang in einem Ich nehmen.
Handlungen sind Veränderungen, die von einem Ich motiviert zu
denken sind trotz oder vielmehr wegen der Tatsache einer „unmoti-
vierten Handlungsweise‘. Gewiß verändert auch das Tier seine Um-
gebung, es ist eine biologisch selbständige Einheit, die zu ihrer Er-
haltung notwendig ihres „persönlichen“ Eingreifens in die Welt ihrer
Umgebung bedarf. Aber im strengen Sinne handelt das Tier nicht.
Handeln ist ichbedingt, aber es muß ein vernunftbegabtes Ich sein,
von dem die Handlung ausgeht. Das Ich muß für seine Handlungen
verantwortlich gemacht werden können. Das Ich darf nicht als neu-
traler Durchgangspunkt für Geschehnisse angesehen werden, sondern
die Handlungen müssen im Ich und durch das Ich anfangen. Hand-
lungen sind vom Ich vollzogene Geschehnisse. Handlungen müssen
ferner ein bestimmtes Ziel für den Handelnden haben können. Das
Ziel hat einen sinnhaften Inhalt, daher ist die Handlung sinnbe-
stimmt. Die Handlung gewinnt so eine ihr eigentümliche, eindeutige
Beziehung zur Vernunft. Jeder Handlung gehört ein Sinnmoment
zu, das sie zu einer sinnvollen, zu einer gewollten Handlung macht;
denn auch unbeabsichtigte Handlungen haben ihre Beziehung zum
Willen. Zu jeder Handlung gehört die Möglichkeit ihrer sinnvollen
Motivation. Der Begriff der Handlung also wählt aus der Mannig-
faltigkeit der möglichen Ereignisse eine bereits stark begrenzte
Gruppe aus.
Sind somit die genannten begrifflichen Bedingungen geeignet, aus
der kontinuierlichen: Mannigfaltigkeit des Geschehens durch begriff-
liche Bestimmung die Handlungen als besondere, abgrenzbare Ge-
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