Full text: Kant

ner Handlungen lassen es deutlich erkennen. Handlungen nämlich, 
die vor das Forum der sittlichen Beurteilung sollen gezogen werden 
können, müssen wertbezogen sein. Allerdings genügt nicht jene theo- 
retische Kulturwertbeziehung, wie sie Rickert zum Konstruktions- 
prinzip des historischen Gegenstandes gemacht hat. Denn die Hand- 
lung sprengt den Rahmen des Theoretischen. Für die Handlung muß 
zu dem Auswahl- und Begrenzungsprinzip der Geschichte noch ein 
besonderes Kriterium hinzutreten. Die Handlung muß nicht nur wert- 
bezogen sein in theoretischer Bedeutung, sondern sie muß eine un- 
mittelbar praktische Funktion in sich tragen; sie muß wertbar sein, 
d.h. sie muß die Möglichkeit bieten, der Wertung unterzogen zu W€T- 
den. Die Handlung, wie sie im Bereich der moralischen Kriterien zur 
Erörterung steht, muß wertdifferent sein. Die Wertdifferenz ist es, die 
es ermöglicht, aus dem Gesamtgeschehen die Handlung auszuwählen 
und zu begrenzen. Es muß möglich sein, die Veränderung, die als 
Handlung gelten soll, zu bewerten, sie in eine Wertskala einzureihen. 
Ein gültiges Prinzip, also ein wahrhaftes Kriterium, kann diese Skala 
nur dann sein, wenn sie das Rangverhältnis gültiger Werte darstellt. 
Aus dem Begriff der Handlung scheidet damit alles wertindiffe- 
rente Geschehen aus. Insbesondere können also alle naturkausal be- 
stimmten Veränderungen niemals den Charakter von Handlungen 
annehmen. Die Handlung erhält durch die Wertung etwas Typisches. 
Die Fülle des Wirklichen, das sie umgibt, braucht nicht mehr in 
ihren Begriff einzugehen, wenn sie nicht wertbar ist. Die Handlung 
wird zu einem abstraktiv bestimmten Konkretum, wobei das Leit- 
prinzip der Abstraktion der Wertbegriff ist. Auch die einzelne kon- 
krete Handlung bedeutet jetzt nicht mehr das Geschehen in seiner 
ganzen Fülle, in seiner unausschöpfbaren Unendlichkeit. Die Ein- 
maligkeit im Sinne absoluter Unmöglichkeit der Wiederholung wird 
hierdurch zunächst wenigstens preisgegeben. Jeder Wert umfaßt jetzt 
die Möglichkeit einer Mannigfaltigkeit verschiedener Geschehnisse, 
die als Handlungen ihm allein unterstehen. Die Bestimmung der 
Handlung durch den Wert schafft bestimmte Typen von Handlungen, 
z. B. die Messung der Handlungen am Wahrheitswerte ergibt als einen 
negativ zu bewertenden Typ all die Handlungen, deren Wertungskern 
die Lüge repräsentiert. Zu ihr gehört die Lüge des „geschäftstüch- 
tigen“ Kaufmanns wie die sogenannte Gesellschaftslüge oder das be- 
absichtigte und fein gesponnene Lügen- und Ehrlichkeitssystem des 
Diplomaten, der für sein Vaterland in der Fremde Propaganda zu 
machen verpflichtet ist usw. 
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