2. Die Handlung tritt so aus ihrer absoluten Einzigkeit und Ein.
maligkeit heraus und ist wiederholbar geworden. Sie kann auch jetzt
anderen Individuen und zu verschiedenen Zeiten geschehend ange-
sonnen werden. Sie gewinnt aber dadurch keineswegs die Allgemein-
heit des sich immer wiederholenden Einzelfalles naturwissenschaft-
licher Gesetze. Wohl tritt sie als Fall unter das allgemeine Gesetz des
Wertes, aber sie würde wertindifferent werden, wenn sie sich restlos
der Naturkausalität und naturwissenschaftlicher Gesetzesallgemein-
heit beugen müßte. Es handelt sich hier um eine konkrete Allgemein-
heit, die gleichsam zwischen der Allgemeinheit des Naturgesetzes, für
die der Einzelfall völlig sekundär ist, und der Einzigkeit der histori-
schen Tatsache, für die das Allgemeine sekundär ist, steht. Es ist eine
konkrete Allgemeinheit, die das Singuläre des Einzelfalles nicht ver-
schwinden läßt, sondern als ein gleichberechtigtes Glied korrelativ
neben die Allgemeinheit treten läßt. Der einzelne Rechtsfall stellt ein
ähnliches Gebilde wissenschaftlicher Allgemeinheit und zugleich Kon-
kretheit dar. Auch dem Rechtsfall muß die Wiederholbarkeit zu-
kommen, weil die Rechtsnormen unübersehbar werden würden, wenn
sie nicht imstande wären, unendlich viele mögliche Fälle zu einem
Typus zusammenzufassen. Die Möglichkeit der „Anwendbarkeit“ der
Paragraphen einer Gesetzgebung setzt schon. die Typisierung der
Einzelfälle voraus. Die großen religiösen Moralsysteme setzen daher
ebenfalls die Typisierung der Handlungen voraus, ja sie schaffen
geradezu Typen von Handlungen. Der Dekalog des alten Testaments
verbietet bestimmte Typen von negativ bewerteten Handlungen.
Wenn nun aber der objektive Wertgedanke das Bestimmungs-
prinzip der Veränderungen ist, um sie zu Handlungen zu konsti-
tuieren, und auf der anderen Seite Kant im Sollen, im kategorischen
Imperativ und im Sittengesetz, das den Sinn dieses Imperativs näher
ausführt, den objektiven Wertbegriff entdeckt, so setzt die Bestim-
mung der Handlung als Handlung schon die Anwendung des Sitten-
gesetzes voraus. Um eine Handlung moralisch bewerten zu können,
muß ich sie, um sie als Handlung überhaupt erst von den anderen
Veränderungen in der Zeit unterscheiden und bestimmen zu können,
anscheinend als gewertet schon voraussetzen. Indessen liegt in dieser
Schluß weise nur scheinbar ein Zirkel vor. Das konstitutive Prinzip
der Handlung ist immer nur die Möglichkeit der Wertung, und zwar
unabhängig davon, ob die Handlung positiv oder negativ zu bewerten
ist. Das Sittengesetz dagegen will die Handlung tatsächlich bewerten,
also auch die Entscheidung über positiven oder negativen Wert tref-
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