Full text: Kant

der Erkenntnis ihres historischen Daseins der Weg geöffnet; denn es 
bietet sich die Möglichkeit, sie in den ganzen Lebenszusammenhang 
des Individuums und in seine geschichtliche Umwelt einzugliedern 
und so als Glied eines historischen Kontinuums zu betrachten, in 
dessen Mittelpunkt die einzelne Handlung als ein bestimmter Gestalt- 
ausdruck des ganzen Daseins des Individuums zu begreifen gesucht 
wird, der im Hinblick auf die Ganzheit moralisch gewertet wird. 
4. Kant selbst hat, auf den Buchstaben hin angesehen, die Linien, 
die von seiner allgemeinen Gesetzgebung aus in das Einzigartige der 
Handlung hineinführen, nicht so weit ausgezogen; denn was er in der 
Metaphysik der Sitten als Tugendlehre bringt, kann die Lücke nicht 
ausfüllen. Ihm genügte und konnte bei seiner nur auf die Prinzipien 
eingestellten Denkweise bereits genügen, nur die Leitgedanken für 
die Anwendung des Sittengesetzes auf den einzelnen Fall anzugeben. 
Wir unterscheiden die objektiv-wissenschaftliche und die subjektiv- 
instinktive Beurteilung im täglichen Leben, die das handelnde Ich 
seinen eigenen Handlungen zukommen läßt. Kant interessiert nur die 
subjektive Anwendung des Sittengesetzes. Kant setzt das spezifische 
Verhältnis, das zwischen dem Inhalt der allgemeinen Gesetzgebung 
und dem Inhalt der einzelnen Handlung besteht, überhaupt nicht fest. 
Er will durch seine Formulierung nur dekretieren, daß ein bestimm- 
tes Verhältnis zwischen allgemeiner Gesetzgebung und besonderem 
Inhalt der Einzelhandlung bestehen muß. Er verlangt daher auch 
nicht, wie man aus seiner Behandlung der Beispiele geschlossen hat, 
diejenige Identität zwischen beiden Inhalten, wie sie eine naive Ver- 
allgemeinerung des Inhaltes der Einzelhandlung fordern müßte. 
Kant stellt nur den Sachverhalt der Korrelation überhaupt zwischen 
der Allgemeinheit des Sittengesetzes und dem Einzelgehalt der Hand- 
lung auf, ohne den besonderen Möglichkeiten dieser Korrelation wei- 
ter nachzugehen. 
Zwei von Kant selbst gebildete Begriffe sind es, die sein Sittengesetz 
als bloßen Leitgedanken der moralischen Beurteilung ins Licht setzen. 
Beiden Begriffen wohnt eine Richtung auf das Allgemeine inne, der 
eine kommt vom Subjekt, von der Ichgliederung, der andere vom 
Objekt, von der Urteilsgesetzlichkeit her. Der eine bedeutet subjektiv- 
empirische Gesetzlichkeit, der andere drückt objektiv-überempiri- 
sche Gesetzlichkeit aus. Die Maxime des Willens ist der eine Begriff, 
der andere ist das Prinzip der allgemeinen Gesetzgebung. Kant stellt 
also nicht den Einzelwillen in einer. seiner besonderen Äußerungen 
und nicht die allgemeine Gesetzgebung selbst in ein Wechselverhält- 
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