geniale Leistungen, selbst wenn sie moralisch typisiert sind, verallge-
meinerungsfähig sind. Der Ehebruch dagegen ist nach Kant unbedingt
unsittlich, ohne Milderungsgründe. Da sich hiernach die geniale Lei-
stung nicht von der Lebensleistung des anständigen Durchschnitts-
menschen unterscheidet, so kann leicht das Wertungsergebnis dem
Beurteilungsstandpunkt des Philisters entsprechen und das Genie in
seiner Gesamtleistung als unmoralisch gewertet werden. Die konven-
tionellen Maßstäbe des bürgerlichen Gesellschaftsstiles werden allzu-
leicht verabsolutiert und abgetrennt von den Maßstäben, welche die
Gesamtheit der Kulturwerte verlangt.
Zwei Gesichtspunkte moralischer Beurteilung, die bisher nur neben-
her liefen, treten damit in eine schärfere Beleuchtung. Es ist klar, daß
die eben entwickelten Beurteilungsmöglichkeiten für jeden beliebigen
Menschen und sein Leben gültig sein müssen, nur behaftet mit gra-
duellen Unterschieden. Der eine Gesichtspunkt kennzeichnet sich
durch den Begriff der sogenannten Erfolgsethik, die in völliger Ein-
seitigkeit nur ein Moment am Gesamtproblem des Ethischen heraus-
hebt. Der Erfolg einer Handlung kann immer nur ein Glied neben
anderen sein, um einen Menschen moralisch zu beurteilen. Es ist eine
tiefe Form der ethischen Problematik, wenn Kant die ungeheure
Schwierigkeit, sich selbst und anderen Menschen ins Herz zu sehen,
methodologisch kennzeichnet, indem er sie mit dem dunklen Schleier
des intelligiblen Charakters umgibt. Aber weder Kant noch die heutige
Wissenschaft kann vor einer absoluten Undurchdringlichkeit Halt
machen. Die moralische Abwägung der Gesinnungen und Handlungen
eines Menschen sind als eine wissenschaftliche Aufgabe zu begreifen,
die prinzipiell nicht abschließbar ist, die aber gestattet, sie beliebig
weit durchzuführen. Der Weg dazu aber kann nur über die historisch
auswertende, d. h. kulturwertbeziehende Methode führen und ist an
die Analyse der Gesamtheit der Erscheinungswelt des Moralischen
gebunden. Diese Analyse ist insbesondere auf die Ausdrucksformen
der Gesinnung, die das ganze Gebiet der worthaften Äußerungen, der
Ausdrucksgesten bis zu den unmittelbar vor Augen liegenden Taten,
umspannen, als ihr Material angewiesen; kurz, es ist dasselbe Ma-
terial, das der Geschichtsforscher benötigt, jedoch mit einer tieferen
Berücksichtigung der Willensmotivation. Daher spielt auch der Erfolg
eines Wollens in die sittliche Beurteilung mit hinein, aber gewiß nur
als ein unselbständiges Moment des gesamten Erscheinungskomplexes
des sittlichen Wollens. Es ergibt sich hieraus für eine nach wissen-
schaftlicher Methode verfahrende moralische Beurteilungsweise die
132