Full text: Kant

besonderes Problem in einer Skizze genauer durchgeführt. Und zwar 
begreiflicherweise gerade an dem Geschehen, das der Kulturbeziehung 
grundsätzlich nicht entraten kann, wenn es wissenschaftlich defi- 
niert werden soll, nämlich am Problem der Geschichte. In seiner „Idee 
zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht‘“ vom 
Jahre 1784 entwickelt Kant Gedankenreihen, welche zeigen sollen, 
daß trotz der Kulturzufälligkeit der Erscheinungen der menschlichen 
Willensfreiheit im einzelnen doch für den Gang der Geschichte im 
ganzen die Möglichkeit der Regelmäßigkeit einer gesetzlichen Ent- 
wickelung bestehe. (VIII, 17—31.) Kant geht dabei über seinen bisher 
entwickelten strengen Naturbegriff hinaus. Gewiß kennt er für den 
einzelnen Vorgang nur die kausal bestimmte Naturwirklichkeit, aber 
schon wenn er die „Naturanlagen der Geschöpfe‘ dazu „bestimmt“ 
sein läßt, „sich einmal vollständig und zweckmäßig auszuwickeln‘“‘, 
so wird in den Mechanismus des Naturgeschehens der Zweckbegriff 
in doppelter Gestalt hineingetragen. Denn einmal kommt dem Ge- 
schöpf als Ganzem eine Bestimmung zu und dann sollen sich die 
Naturanlagen zweckmäßig, d. h. ihren Einzelzwecken entsprechend, 
auswickeln. Kant macht nun weiterhin genauere Angaben über die 
Ziele, auf die diese Abwicklung hinsteuert. Für den Menschen näm- 
lich bedeutet diese Bestimmung, daß die Naturanlagen auf den Ge- 
brauch seiner Vernunft abzielen. So gewiß nun Kant den einzelnen 
Vorgang der Entwicklung, wie später Darwin auf dem Gebiete der 
biologischen Veränderung der Tiere, naturwissenschaftlich kausal zu 
konstruieren versucht, indem er den „Antagonism in der Gesellschaft“ 
zur blinden Ursache der gesetzmäßigen Ordnung macht, so bleibt 
doch auf der anderen Seite der Begriff „einer höchsten Aufgabe der 
Natur für die Menschengattung‘ bestehen, nämlich „die Erreichung 
einer allgemeinen das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft“. 
Kant läßt also auch hier zwar innerhalb des Getriebes der Erschei- 
nungen keine Lücke für eine Gesetzlichkeit aus freier Vernunft, wohl 
aber prägt er der Naturwirklichkeit als Ganzem eine mindestens recht- 
liche, wenn nicht moralische Funkion auf. Darin eben besteht das 
Ziel des „verborgenen Planes der Natur“. Und in dieser vollkommen 
gerechten bürgerlichen Verfassung muß dann auch, im ganzen ge- 
nommen, ein verhältnismäßiger Glückszustand eingetreten sein, wenn 
es auch für Kant befremdend bleibt, „daß doch nur die spätesten 
[Generationen] das Glück haben sollen, in dem Gebäude zu wohnen, 
woran eine lange Reihe ihrer Vorfahren (zwar freilich ohne ihre 
Absicht) gearbeitet hatten, ohne doch selbst an dem Glück, das sie 
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