Full text: Kant

„oberste Ursache‘ ansetzen zu müssen. Diese muß, kurz gesagt, von 
personaler Struktur gedacht werden, weil sie als Ursache der Über- 
einstimmung zwischen unpersonalem Naturgeschehen und den per- 
sönlichen sittlichen Gesinnungen der einzelnen Individuen der mensch- 
lichen Gesellschaft anzunehmen ist. Aber selbst wenn man die auf 
dem moralischen Gebiete liegenden Prämissen, einen Zustand vollen- 
deter Sittlichkeit als daseiend zu fordern, als gültig anerkennt, so sind 
die von Kant hieraus gezogenen Folgerungen weder des Daseins einer 
obersten Ursache noch auch deren personaler Struktur von irgend- 
welcher zwingenden Beweiskraft. Auch nur als Postulat aufgefaßt, 
kann der Beweis nicht als gelungen gelten, wenigstens solange man 
sich an die buchstäblichen Formulierungen Kants hält. Denn die voll- 
endete Realisierung des Kulturprozesses würde keine oberste Ursache 
verlangen, noch auch muß aus der Realisierung des Sittengesetzes in 
den persönlichen Gesinnungen der Menschen mit Notwendigkeit auf 
die Personalität der Ursache geschlossen werden. 
Trotz dieser theoretisch-methodischen Mängel liegt aber den beiden 
Beweisen ein fruchtbarer Gedanke zugrunde, der sich entfaltet, wenn 
man das Moralische wieder in der umfassenderen Bedeutung der gül- 
tigen Wertordnungen überhaupt ausdeutet. Schon am Ende des 7. Ka- 
pitels hatte sich die Möglichkeit ergeben, in Gott den Inbegriff aller 
Werte, in der Welt das teilweise verwirklichte Gebiet der objektiven 
Kulturordnung und in der Seele die entsprechende subjektive Kultur- 
gesinnung zu erblicken: In der Kritik der praktischen Vernunft wer- 
den diese Begriffe aber zu den letzten und höchsten Zielen ihrer Ana- 
lysen gemacht, so daß ihre dadurch völlig eindeutig gemachte mora- 
lische Funktion unter dem Gesichtspunkte der Erweiterung des Mora- 
lischen zu den allgemeinen Kulturwerten jetzt mit Notwendigkeit 
dazu zwingt, sie als Träger der Kulturwertordnungen anzuerkennen. 
Auch die daseiende Welt ist ja für Kant zum Gegenstande eines mora- 
lischen Gefüges geworden, wenn er mit den genannten Postulaten 
„das Postulat der Möglichkeit des höchsten abgeleiteten Guts (der 
besten Welt)‘ verknüpft. (V, 125.) Zudem führt das Postulat der 
Freiheit auf „die kosmologische Idee einer intelligiblen Welt und das 
Bewußtsein unseres Daseins in derselben“. (V, 133, 447 f.) Diese intel- 
ligible Welt ist dann nichts anderes als die als Idee gedachte Kultur- 
ordnung, die Kulturordnung in idealer Vollendung. 
3. Mit diesen Bestimmungen werden die Ideen zum Träger der 
Metaphysik, und Kant nimmt in ihnen, wie wir am Anfang bereits 
hervorhoben, das Erbe auf, das das Mittelalter der neueren Zeit über- 
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