Full text: Kant

7 geben hat. Dieses vorkantische Zeitalter hat den Gehalt dieses Erbes 
zwar um mancherlei Nuancen bereichert und verändert, aber die 
Grundprobleme, wenn auch in rational verschärfter Gestalt, beibe- 
halten. Metaphysik ist für Kant keine Wissenschaft, aber dennoch 
behält sie ihre nahe Verwandtschaft zur wissenschaftlichen Erkennt- 
nismethode. Sie besitzt eine eigentümliche theoretische Funktion, die 
2 sie vom ästhetischen Schauen wie vom religiösen Fühlen abrückt. 
} Sie bedeutet eine Totalität des Wissens um Theoretisches wie Atheo- 
- retisches, die nicht durch das Einheitsprinzip des Logischen wieder- 
© gegeben werden kann. Denn dieses begründet und kann nur begrün- 
n den das System der Wissenschaften in seiner formalen Einheit. Die 
- Methaphysik ist, wir kommen am Schlusse noch genauer auf sie zu 
S sprechen, eine Art Ganzheit von erlebnismäßiger Struktur — darum 
n bei Kant die Prinzipien der Vernunft als Einheitsregeln des wissen- 
f schaftlichen Denkens —, die aber doch nicht bloß die Realität psychi- 
schen Seins besitzt, sondern deren Gültigkeit ins Objektiv-Theoretische 
2 hineinreicht. Die Metaphysik besteht, grob gesprochen, nicht aus will- 
a kürlichen Begriffskombinationen einer von der Erfahrung völlig los- 
gelösten Phantasie, sondern sie ist immer ein gewisser objektiver Aus- 
druck des Kulturempfindens. Sie faßt die Gesamtheit der innerhalb 
einer Kultur möglichen Weltanschauungen zu einer relativ gemein- 
) samen und objektiven Einheit zusammen, in die die einzelnen Kultur- 
gebiete als Werte eingehen, die sich in einer Rangordnung miteinander 
verknüpfen. Metaphysik wird der objektive Ausdruck der höchsten 
Werte und Maßstäbe einer Kultur. Gewiß ist sie damit in ihrer kon- 
kreten Ausgestaltung an die jeweilige Eigenart und zugleich an den 
Wechsel der Kultur gebunden, aber ihr Begriff schwebt über diesem 
Wechsel, und es läßt sich von diesen einzelnen und voneinander recht 
verschiedenen metaphysischen Systemen aus der Gedanke einer ideel- 
len Metaphysik — ein freilich nur formaler Begriff — bilden, der 
über allem Zeitlichen steht. Eben diesen Begriff einer Totalität der 
idealen Werte aber bildet Kant durch seine drei Ideen. Daher ist sein 
moralischer Gottes- und Unsterblichkeitsbegriff in der Ebene meta- 
physisch-spekulativen Denkens gelegen und hat somit einen bestimm- 
ten Abstand gegenüber den entsprechenden religiösen Gegenständen. 
Wir kommen damit zum Problem der Religionsphilosophie im 
engeren Sinne bei Kant, deren Abstand von seinen moralischen Be- 
griffen, entgegen der üblichen Ansicht, wir zunächst näher zu be- 
gründen haben. Man pflegt das Absolute in metaphysischer Bedeu- 
tung als ein unpersönliches Letztes zu konstruieren. Man meint, das 
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