Full text: Kant

in den festgestellten Gültigkeitsbezirk der allgemein gültigen religiösen 
Gegenstände aufzunehmen. Religion innerhalb der Grenzen der bloßen 
Vernunft wird daher zu einem einzigen großen Postulat der Einheit 
der Vernunft als der Einheit des Kulturbewußtseins. Der religiöse 
Gegenstand nämlich, vor allem der Inbegriff der höchsten Werte in 
der personalen Gestalt Gottes, unterscheidet sich vom metaphysischen 
Gegenstande durch die eigentümliche Erlebnisnähe der Wertgestalt 
Gottes. 
Während für den metaphysischen Gott zwar auch das Erlebtwer- 
den von wesentlicher Bedeutung ist, der intentionale Gehalt dieses 
Erlebens aber theoretisch gedeutet wird, so daß das Ich und die Per- 
sönlichkeit des einzelnen nur um diesen Gehalt zu wissen braucht, 
ohne in ein eigentliches tieferes Gemütsverhältnis zu der Totalität der 
Werte in Gott zu treten, macht diese Passivität des bloßen Wissens 
beim religiösen Gotteserleben einer eigentümlichen praktischen Akti- 
vität des Ich Platz. Das Glaubenserlebnis verbindet das Eigentümliche 
der Persönlichkeit des einzelnen empirischen Individuums, verbindet 
seine empirische Seele in allen ihren Fasern mit dem höchsten Werte 
als Inbegriff aller Wertordnungen und Rangverhältnisse. Gott erleben 
im religiösen Sinn heißt, diese Totalität der Werte gleichsam zu seinem 
eigenen personalen Wertgefüge machen, heißt in dieser Totalität 
leben, bedeutet, sie in sich gleichsam als wirklich und vollendet er- 
leben. Es ist der Sinn des mystischen Erlebens. Dabei wird diese Stim- 
mung auf und ab wellend getragen von einem ewigen Wechselspiel 
der Annäherung, des Strebens des Ich nach dieser Totalität und wie- 
derum des Erreichthabens, des Ausruhens in dieser Totalität, der Ruhe 
in Gott. Und diese Welle interferiert mit einer anderen, die das Ich 
sich schaudernd von Gott entfernen läßt. Erlösungsbedürfnis und hei- 
lige Ruhe im Göttlichen, das stille Sehnen des frommen Menschen 
nach Gott und die verzückte Ekstase des Mystikers, der in Gott lebt, 
auf die das Zurückweichen in furchtsame Endlichkeit folgt, sind die 
Extreme der verschiedenen psychischen Abwandlungen des Gott- 
erlebens in seiner religiösen Bedeutung. Gott selbst als der Gegenstand 
dieses Erlebens ist aber nicht der einzige religiöse Gegenstand. Das 
gerade ist das Eigentümliche, daß in diesem Erleben das eigene Ich 
sich zu größter Lebendigkeit und Wertentfaltung erhebt. Religiöses 
Erleben ist Zwiegespräch zwischen dem endlichen, sehnenden Ich 
und Gott, zwischen Seele und Gott. 
Und diese Dynamik zwischen Seele und Gott, die ja so oft im Gebet 
ihren wortgefaßten Ausdruck findet, bewegt sich durch das Medium 
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