Hang zum Bösen zu überwinden und so der Erlösung, der Gottselig-
keit in einem ewigen Leben teilhaftig zu werden. Wenn die sittlichen
Gebote in der Religion zugleich als göttliche Gebote zu betrachten
sind, so gebietet freilich Gott jedem einzelnen, und tritt in ein persön-
liches Verhältnis zum Ich der Einzelseele. Aber es fehlt diesem Ver-
hältnis der wärmende Hauch, der in der Liebe Gottes und seiner
Gnade webt, die ihn in der christlichen Religion zum Vater der Men-
schen und die Menschen zu Gottes Kindern in seinem Reiche machen.
Kants Gottesbegriff steht daher dem rationalen, streng befehlenden
Gott der alttestamentlichen mosaischen Gesetzgebung nahe. Das reli-
giöse Erosmotiv darf sich nur versteckt hie und da vorwagen, weil
es ein Ausbiegen aus dem Imperativ des Moralischen fordern würde,
und dies kann Kant nicht zugeben im Hinblick auf die Heraushebung
des objektiv Gültigen an der Religion. „Der allgemeine wahre Reli-
gionsglaube‘“ an Gott besteht darin, 1. Gott als den allmächtigen
Schöpfer Himmels und der Erden, 2. ihn als gütigen Regierer und
moralischen Versorger und 3. als gerechten Richter zu glauben. Im
Glauben an seine Güte klingt das Liebes- und Erlösungsmotiv zwar
an, aber ohne in seinen Analysen selbständiges Leben zu gewinnen.
Es sieht fast nur wie ein Akt der Anpassung an die bestehende christ-
liche Religion aus, da er die Güte Gottes später sogleich wieder ein-
schränkt zugunsten der unbedingten Gültigkeit des moralischen Ge-
setzes (VI, 139, 141). Diese unbedingte Bindung ans moralische Ge-
setz läßt Kant auch jeden Gedanken einer Belohnung im Jenseits für
die Moralität im Diesseits verwerfen, sofern Gott als der Bürge für
die Durchführung gedacht wird. So bedeutsam der erstmalige Ver-
such ist, die allgemeine Vernunftreligion von allen Utilitätsprinzipien
der historischen Religionen zu reinigen, so gelingt es Kant doch nicht,
hierbei ganz die Einseitigkeiten einer bloß moralischen Konstruktion
der göttlichen Persönlichkeit zu vermeiden.
Dagegen gelingt es Kant, die Religion als soziale Erscheinung bis
in ihre Tiefen hinein zu verfolgen. Die Sünde ist zwar in ihren
theoretischen Prinzipien ein Unbegreifliches, eine gegebene Urtat-
sache, die nicht weiter erklärbar ist; aber ihr Fortbestehen sucht Kant
aus den Bedingungen des Zusammenlebens der menschlichen Indivi-
duen zu erklären, in dem Neid, Herrschsucht, die Habsucht schon
durch das bloße Dasein der anderen hervorgerufen werden (VI, 94).
Es sind Betrachtungen, die im Kreise der Rousseauschen Gedanken-
welt heimisch sind. Die Überwindung der Sünde ist daher nur mög-
lich auf dem Wege einer Gesellschaft von gesetzmäßig miteinander
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