Full text: Kant

Gefilde lachend und fröhlich; selbst Farben werden unschuldig, be- 
scheiden, zärtlich genannt.“ (V, 354.) Noch unmittelbarer hören wir 
die Töne der ästhetischen Kultur des anhebenden Neuhumanismus 
erklingen, wenn Kant als „Propädeutik zu aller schönen Kunst‘ die 
durch die Vorkenntnisse der humaniora erreichbare Bildung der Ge- 
mütskräfte anführt. Denn Humanität bedeutet „einerseits das allge- 
meine Theilnehmungsgefühl, andererseits das Vermögen, sich innigst 
und allgemein mittheilen zu können‘; „welche Eigenschaften, zusam- 
men verbunden, die der Menschheit angemessene Geselligkeit aus- 
machen, wodurch sie sich von der tierischen Eingeschränktheit unter- 
scheidet‘. (V, 355.) Der ästhetische Geschmack gehört also einer 
„höheren Cultur‘“ an, dessen Propädeutik „die Entwicklung sittlicher 
Ideen und die Cultur des moralischen Gefühls sei‘. (V, 356.) 
Der ästhetische Wert wird durch diese Betrachtungen von der ein- 
samen Höhe seines abstrakten Gültigkeitsproblems herabgeholt und 
in die Mannigfaltigkeit der Lebensprobleme hineingestellt. Mag auch 
jenes Teilnehmungsgefühl sein tatsächliches Vorbild in der sentimen- 
talen Gefühlsweichheit und Empfindsamkeit schwärmerischer Na- 
turen haben, wie sie sich in der dichterischen Produktion jener Tage 
ausprägte, und somit von historischer Bedingtheit nicht frei sein, so 
bedeutet doch die Einreihung des Ästhetischen in die Voraussetzun- 
gen der Humanität einen theoretischen Ansatz für jenes ästhetische 
Kulturbewußtsein, das wenige Jahrzehnte später das einheitliche 
Publikum schuf, welches für die großen klassischen Dramen den 
andächtigen Zuhörerkeis ausmachte. Und wenn für den ästhetischen 
Geschmack und seine höhere Kultur die Entwickelung des sittlichen 
Gefühls eine zweckmäßige Einleitung und Vorstufe bedeutet, so er- 
hebt sich dadurch das Sein des ästhetischen Gegenstandes zu einer 
Höhe, die eine harmonische Vereinigung zwischen Idee und sinnlicher 
Anschauung bedeutet, in der die Spannung zwischen moralischer 
Norm und sinnlichem Triebleben einen konkreten Ausgleich erfahren 
konnte. So verklärt sich im Kunstwerk unser eigenes Dasein, indem 
die Lebenswerte in den Gegenständen der Kunst in ein angemessenes 
Verhältnis zum sittlichen Ideal treten. Erst wenn die Allgemeinheit 
des Sittlichen den ästhetischen Geschmak zum gleichen Grade der 
Allgemeinheit in einem späteren Zeitalter einmal erheben sollte, kann 
in ihm eine „glückliche Vereinigung des gesetzlichen Zwanges der 
höchsten Cultur mit der Kraft und Richtigkeit der ihren eigenen Werth 
fühlenden freien Natur in ein und demselben Volke“ möglich werden. 
(V, 356.) Die harmonische Vereinigung von Sinnlichkeit und Verstand 
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