Full text: Kant

bringen wie das ästhetische Empfangen sind vom Ich in dem tieferen, 
transzendentalen Sinn produziert. Für beide Prozesse ist das Gestalt- 
erleben die notwendige Voraussetzung. 
Kant hält an diesem transzendentalen Gesichtspunkte fest, wenn 
er erklärt: „Schöne Kunst ist nur als Product des Genies möglich.“ 
(V, 307.) Er untersucht die Bedingungen künstlerischen Schaffens 
und findet sie in der natürlichen Organisation des Genies, die der 
Kunst die Regel gibt. Die Produktionsrichtung dieser Organisation 
aber ist an keine Regel gebunden. Regeln lassen sich nur geben, wenn 
das Ziel erkannt ist. Hier aber ist das Ziel ein erst zu Schaffendes, 
ein Neues gegenüber den bisherigen Geisteswerten, die die Mannig- 
faltigkeit des Kulturzustandes hervorgebracht. hat. 
Schönheit ist also stets gesetzlich, mögen. auch die Produktions- 
vorgänge sich technischen Regeln und Gesetzen entziehen. Die Be- 
ziehung, in die der logische Gehalt der ästhetischen Idee zu ihrem 
sinnlichen Ausdruck im Kunstwerk gestellt wird, ist einer Gesetzlich- 
keit unterworfen, die überzeitlicher Art ist, wiewohl kein einzelnes 
Kunstwerk ausschließlich von überzeitlicher Schönheitsgestalt ist. 
Der individuelle sinnliche Ausdruck der ästhetischen Idee ist ein kom- 
plizierter Mikrokosmus von sinnlich dargestellten Wertrangordnun- 
gen, die in ihren feineren Verzweigungen immer vom Zeitgeist und 
seinem individuellen Geschmack abhängig bleiben. Der überzeitliche 
Gehalt des Kunstwerks ist für Kant stets ideeller Ausdruck irgend- 
welcher Glieder der moralischen Wertordnung, d. h. des Systems der 
Kulturwerte; die überzeitliche Gestalt dagegen ist sui generis und stellt 
das eigentliche, das formale Apriori des Ästhetischen dar. Es gelingt 
Kant, mit diesen Bestimmungen das Kunstwerk in die Fülle des histo- 
risch Bedingten hineinzustellen, es jedoch nicht in dem relativierenden 
Fluß immer neuer Erfahrungsbedingtheiten untergehen zu lassen, 
sondern im harmonischen Spiel der Erkenntniskräfte dasjenige 
Apriori festzuhalten, welches notwendig ist, um Ästhetik und allge- 
meine Kunstwissenschaft möglich zu machen; „da, nur wenn mit 
diesem (dem moralischen Gefühl) die Sinnlichkeit in Einstimmung 
gebracht wird, der ächte Geschmack eine bestimmte, unveränderliche 
Form annehmen kann“. (V, 356.) i&% 
Zugleich zeigt sich von neuem, wie in den Prinzipien der Urteils- 
kraft die Vereinigung von Natur und Freiheit sich zu vollziehen ver- 
mag; auch Naturschönheit gewinnt als Schönheit Anteil an den Aus- 
drucksmöglichkeiten sittlicher Ideen, worauf besonders die vorhin 
aufgezählten Beispiele (V, 354) hinweisen. Diese Vereinigung vollzieht 
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