sophie fälschlich substantialisierten psychischen Funktionen, in denen
sich das Bewußtsein von der Mannigfaltigkeit der höchsten Werte
entfaltet. Die höchsten Werte waren uns als die letzten, die Mensch-
heit zu sich verstehender Ganzheit zusammenbildenden Einheitsfunk-
tionen offenbar geworden. Sie sind es, die die letzten Ziele mensch-
lichen Denkens und Tuns normieren, wiewohl die unmittelbaren Ab-
sichten meist nach viel niedrigeren Wertzielen greifen. Denn eine List
der Weltvernunft bewirkt, daß jene Absichten oft den höchsten Wert-
zielen förderlich sind. Die Naturwirklichkeit ordnet sich diesem Tun
und Gestalten als schöpferisches Material ein und unter, so daß diese
Ideen die Gesamtheit der wirklichen Welt bildend umfassen. So be-
stätigt sich auch von dieser Seite her, daß die Vernunft als das Ver-
mögen der Ideen das Prinzip der Weltanschauung überhaupt ist.
In ihr drückt sich die über die Subjekt-Objekt-Korrelation des theo-
retischen Gegenstandes hinausgehende Ichgliederung des Weltbegrei-
fens aus. Vernunft ist daher ein formales Prinzip, aber sie steht in
dieser Funktion nicht in direkter Beziehung zum wissenschaftlichen
Erkennen, sondern zum. praktischen Weltbegreifen. Darum ist für
Kant die Vernunft das Vermögen der Ideen. Und wenn er innerhalb
der Vernunft zwischen reiner und praktischer Vernunft, zwischen
dem Religiösen innerhalb der bloßen Vernunft und dem Ästhetischen
unterscheidet —- auch die Urteilskraft stellt er „als ein Mittelglied“
zwischen dem Verstande und der Vernunft in den Bereich des Ver-
nunftgefüges —, so kündet sich bei Kant ebenfalls die universale welt-
anschauende Inhaltsfunktion der Vernunft an.
6. Aber was hat nun dieser kantische Begriff der Vernunft mit dem
Kulturbewußtsein zu tun? Das Wort Kultur ist heute nachgerade zu
einem beliebten Schlagwort geworden, wo man nach letzten Prinzi-
pien fragt, die inhaltlichen Reichtum besitzen sollen, den die logischen
Prinzipien der Gültigkeit nicht zu geben vermögen; nicht zuletzt unter
dem gewaltigen Druck der Tatsachen des Weltkrieges, die den Kultur-
gedanken in der Tiefe seiner Problematik aufgewühlt haben. In den
theoretischen Analysen des Kulturbegriffs sieht man sich freilich viel-
fach vergeblich nach festen Definitionen um; denn er wird meist als
definiert vorausgesetzt. Die Tatsache indessen, daß er in den mannig-
faltigsten Bedeutungsschattierungen gebraucht wird, fordert mit Ein-
dringlichkeit definitorische Bestimmungen.
Gegeben ist Kultur als Tatsache; doch diese erste Bestimmung muß
eingeschränkt werden; denn Kultur ist eben nicht Naturtatsache. Sie
ist daher niemals mit quantitativ bestimmten Naturtatsachen zu iden-
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