Das Gestaltungsprinzip der Kultur hat, wie sich bereits deutlicher
zeigt, ein Sollen zum Mittelpunkte seines Gefüges, ein Sollen, das für
alle Vernunftwesen Gültigkeit hat. Dieses Sollen konstituiert den Be-
griff des Wertes im objektiven Sinne. Objektiv gültige Werte sind all-
gemein Gesolltes. Wohl hat man versucht, den Wertbegriff durch das
Wollen zu definieren, allein es ist nicht einzusehen, wie vom Wollen
aus, das doch nun einmal ein psychologischer Begriff ist, objektive
Werte begründet werden könnten. Doch davon kann hier nicht weiter
gehandelt werden. Kultur ist also eine Tatsache, ein Zustand, dessen
Gestaltungsprinzip allgemein die objektiven Werte sind. Die objektiv
gültigen Werte sind daher die Kulturwerte, und Kultur ist daher die
Gestaltung und das relative Gestaltetsein der Naturwirklichkeit nach
den Normen der Kulturwerte. Als objektiv gültige Werte, ja als die
höchsten Werte hatten wir oben bereits in beispielhafter Aufzählung
die Wahrheit, das moralische Gesetz, Gott und das Heilige als Prinzip
der Religion und die Schönheit als Norm der Kunst angeführt. Ihnen
entsprechen als oberste Kulturgüter die Wissenschaft, die Sittlichkeit
und Sitte, religiöser Glaube und religiöse Gemeinschaft, Kunst und
Künstlertum. Das System dieser Werte, das als ein offenes, durch
weitere Analyse vermehrbares System zu betrachten ist, bedingt also
den Kulturbegriff. Der Inbegriff der durch diese Werte gesetzten
Normen bestimmt den Kulturbegriff.
Kultur ist daher der Prozeß der Verwirklichung, d. h. Gestaltung
der Naturwirklichkeit der in diesen Werten sich ausdrückenden
Normordnungen. Kultur ist, kurz gesagt, tatsächlich erreichte Wert-
ordnung, in einem eigentümlichen nicht naturhaften Gefüge von Tat-
sachen sich offenbarende Wertordnung, wobei dieses Gefüge selbst
wertdurchdrungen wird, objektiv wertvolle Dinge, d. h. Kulturgüter
erzeugend. Kultur ist somit geknüpft an die höchsten Werte, emp-
fängt gerade von den letzten Werten aus ihr eigentümliches Gefüge
und ihren eigentümlichen Inhalt. Weil diese höchsten Werte in ihrer
formalen Funktion unbedingt gültig sind, so trägt alle Kultur den
Charakter objektiver Gültigkeit, unbeschadet der Tatsache unzählig
vieler Einzelkulturen, die über die Erde dahingegangen sind und ein
Aufblühen, Reifen und Vergehen durchschritten haben. In ihrem
Ideengehalt, im Hinblick auf ihre letzten geistigen Normen stellt jede
an sich vergängliche Einzelkultur einen unter allerdings ganz indivi-
duellen Bedingungen stehenden und daher in völlig einmaliger Form
sich vollziehenden Ausdruck des einen überzeitlich Gültigen dar, wie
unvollkommen und historisch relativ auch dieser Ausdruck selbst in
12