Full text: Kant

Das Gestaltungsprinzip der Kultur hat, wie sich bereits deutlicher 
zeigt, ein Sollen zum Mittelpunkte seines Gefüges, ein Sollen, das für 
alle Vernunftwesen Gültigkeit hat. Dieses Sollen konstituiert den Be- 
griff des Wertes im objektiven Sinne. Objektiv gültige Werte sind all- 
gemein Gesolltes. Wohl hat man versucht, den Wertbegriff durch das 
Wollen zu definieren, allein es ist nicht einzusehen, wie vom Wollen 
aus, das doch nun einmal ein psychologischer Begriff ist, objektive 
Werte begründet werden könnten. Doch davon kann hier nicht weiter 
gehandelt werden. Kultur ist also eine Tatsache, ein Zustand, dessen 
Gestaltungsprinzip allgemein die objektiven Werte sind. Die objektiv 
gültigen Werte sind daher die Kulturwerte, und Kultur ist daher die 
Gestaltung und das relative Gestaltetsein der Naturwirklichkeit nach 
den Normen der Kulturwerte. Als objektiv gültige Werte, ja als die 
höchsten Werte hatten wir oben bereits in beispielhafter Aufzählung 
die Wahrheit, das moralische Gesetz, Gott und das Heilige als Prinzip 
der Religion und die Schönheit als Norm der Kunst angeführt. Ihnen 
entsprechen als oberste Kulturgüter die Wissenschaft, die Sittlichkeit 
und Sitte, religiöser Glaube und religiöse Gemeinschaft, Kunst und 
Künstlertum. Das System dieser Werte, das als ein offenes, durch 
weitere Analyse vermehrbares System zu betrachten ist, bedingt also 
den Kulturbegriff. Der Inbegriff der durch diese Werte gesetzten 
Normen bestimmt den Kulturbegriff. 
Kultur ist daher der Prozeß der Verwirklichung, d. h. Gestaltung 
der Naturwirklichkeit der in diesen Werten sich ausdrückenden 
Normordnungen. Kultur ist, kurz gesagt, tatsächlich erreichte Wert- 
ordnung, in einem eigentümlichen nicht naturhaften Gefüge von Tat- 
sachen sich offenbarende Wertordnung, wobei dieses Gefüge selbst 
wertdurchdrungen wird, objektiv wertvolle Dinge, d. h. Kulturgüter 
erzeugend. Kultur ist somit geknüpft an die höchsten Werte, emp- 
fängt gerade von den letzten Werten aus ihr eigentümliches Gefüge 
und ihren eigentümlichen Inhalt. Weil diese höchsten Werte in ihrer 
formalen Funktion unbedingt gültig sind, so trägt alle Kultur den 
Charakter objektiver Gültigkeit, unbeschadet der Tatsache unzählig 
vieler Einzelkulturen, die über die Erde dahingegangen sind und ein 
Aufblühen, Reifen und Vergehen durchschritten haben. In ihrem 
Ideengehalt, im Hinblick auf ihre letzten geistigen Normen stellt jede 
an sich vergängliche Einzelkultur einen unter allerdings ganz indivi- 
duellen Bedingungen stehenden und daher in völlig einmaliger Form 
sich vollziehenden Ausdruck des einen überzeitlich Gültigen dar, wie 
unvollkommen und historisch relativ auch dieser Ausdruck selbst in 
12
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.