Full text: Kant

und das Kulturbewußtsein von Gemeinschaften betrachtet. Die ein- 
zelnen Stände eines Volkes, das ganze Volk, endlich Völkergruppen 
und schließlich die gesamte Menschheit haben Kulturbewußtsein. 
Dieser allgemeinste Gattungsbegriff des Kulturbewußtseins betrifft 
immer noch einen tatsächlichen Gegenstand; es ist Kulturbewußtsein, 
das existiert; freilich nicht mehr als Bewußtsein des empirischen Indi- 
viduums, sondern als eine objektive Geistesmacht, deren Struktur das 
Bewußtsein des einzelnen durchdringt und gewissermaßen normiert 
und leitet. Das brauchen noch keine die große Masse begeisternden 
oder entzückenden Ideen zu sein, sondern still und unbeachtet, gleich- 
sam im Hintergrunde jedes Einzelbewußtseins, kann sich ein Inhalt 
des allgemeinen Kulturbewußtseins ansiedeln. 
Worin besteht nun der Inhalt dieses allgemeinen Kulturbewußt- 
seins? Abgezogen aus der Mannigfaltigkeit der einzelnen, persön- 
lichen Bewußtseinseinheiten, ist er offenbar von sehr formaler Struk- 
tur. Dieses Gefüge muß als Erlebnismöglichkeit eine ichgegliederte 
Ganzheit sein, die die tragenden Grundgedanken des allgemeinen Kul- 
turbegriffs in sich faßt. Daher ist sie Ganzheit der gültigen Werte; 
als Tatsache ist sie zwar geltend, aber nicht gültig. Gültig ist das 
Kulturbewußtsein erst, wenn es das Erlebnis objektiver Rangordnung 
der gültigen Werte ist. Dann betrifft die Gültigkeit den Inhalt dieses 
Kulturbewußtseins, der nicht mit den objektiven Werten selbst iden- 
tifiziert werden darf, Denn über diese objektiven Werte breitet sich 
die gestaltende Funktion der Erlebniseinheit aus, die sie zur Rang- 
ordnung zusammenfügt, die einer Person muß zugehören können als 
deren personale Bewußtseinsstruktur. 
Über diesen Begriff des allgemeinen Kulturbewußtseins bauen sich 
dann analog wie beim Kulturbegriff die Idee des Kulturbewußtseins, 
die diese Rangordnung der Werte als eine vollendete enthält, und das 
Ideal des Kulturbewußtseins, das die Ganzheit der Wertrangordnung 
als gesollten dynamischen Prozeß in sich faßt. 
Es soll nun gezeigt werden, daß Kants Vernunftbegriff, an dessen 
Spitze seine transzendentalen Ideen von Seele, Welt und Gott stehen, 
die Prinzipien einer Theorie des Kulturbewußtseins enthält; Ja, 
Kants Vernunftbegriff und Vernunftkritik darf geradezu als eine 
Theorie des Kulturbewußtseins angesehen werden. Das System Kants 
wird auf diese Weise unter einen bestimmten, besonderen Gesichts- 
punkt gestellt, der seine Bedeutung für das geistige Bewußtsein der 
Gegenwart erhellen soll. Dieses Gegenwartsbewußtsein kann dabei, 
als Kulturbewußtsein begrenzt, nicht den Maßstab für diese Beurtei- 
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