Full text: Kant

2. Der metaphysische Gehalt des abendländischen 
Denkens als Voraussetzung für Kants System 
1. Wenn die Frage nach Kants philosophischem System gestellt ist, 
so ist in ihr die Voraussetzung enthalten, daß diese Aufgabe keine 
philosophiegeschichtliche, sondern eine philosophisch-systematische 
ist. Kants Werk wird als eine Einheit zu begreifen gesucht, die min- 
destens durch die Einheit wissenschaftlicher Methode charakterisiert 
ist. Die Kerngedanken dieser Einheit gilt es in den überzeitlichen 
Bestand der Philosophie einzureihen, soweit es dem historischen Be- 
wußtsein vergönnt ist, sich die überzeitliche Bedeutung Kants zu ver- 
gegenwärtigen. Die Ganzheit des Systems in seinen Kerngedanken 
soll erfaßt werden; nämlich es soll nicht die schulmäßige, am Einzel- 
nen hängenbleibende und damit das System gerade nicht als ein Gan- 
zes hervortreten lassende Auslegungsweise angewendet werden. Wie 
im einzelnen die Stellung etwa der reinen Anschauung zum Methoden- 
problem der modernen Mathematik mit ihren nichteuklidischen Ge- 
ometrien zu bestimmen sein mag, darf füglich außer Betracht bleiben. 
Vielmehr kann hier nur den großen Linien nachgegangen werden, die 
zu jenen Einheitspunkten hinführen, aus denen sich die Einheit der 
Vernunft als Prinzip des Kulturbewußtseins erschließen läßt. Was 
Kant uns heute für den Sinn unseres Lebens an vertiefter Einheit un- 
serer Lebensauffassung, geleitet von den Bedingungen unserer geisti- 
gen Kultureinheit, zu geben vermag, ist die wesentliche Aufgabe. Der 
aufs einzelne, oft nur auf seine logische Methode gehende Schulbe- 
griff seiner Philosophie ist hier durch ihren Welt- und Kulturbegriff 
zu ersetzen“. 
Diese Auslegung muß in den überzeitlichen Gehalt seines Lebens- 
werkes hinaufführen. Wie die unermeßliche Mannigfaltigkeit der 
Sprachen und die lautliche Formung innerhalb derselben Sprache mit 
wenigen Grundelementen, etwa den Buchstaben, auszukommen ver- 
mag, so geben in der Geschichte des menschlichen Geisteslebens nur 
wenige Ideen die eigentlich schöpferischen Grundtöne an. Sie sind 
es, die man heraushören muß, will .man die ganze Entwicklung als 
eine sinnvolle Einheit des Kulturganzen mit organisch sich verknüp- 
fenden Haupt- und Nebenlinien begreifen. Alles andere, was an gei- 
stigem Gehalt sich um diese Hauptlinien herumschlingt, ist Beiwerk, 
ist Leistung des Kombinierens, des bloßen Verknüpfens und Um- 
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