schafft, zu erreichen. Gerade der Primat der praktischen Vernunft
macht dieses Verhältnis des wissenschaftlichen Erkennens zu den
sittlichen Aufgaben des Lebens in einer zwar sehr abstrakten, aber
das Problem bis zu seinem Gipfelpunkte ersteigenden. Form offenbar.
Drittens endlich erkennen wir nach Kant mit dem Verstande vor-
nehmlich die sinnlichen Erscheinungen, gleichsam nur die bloßen
Symbole der Dinge an sich selbst; auch uns selbst können wir nur als
Erscheinung erkennen. Als Ding an sich, im absoluten Sinne, aber
vermögen wir uns selbst nur zu erkennen, wenn wir schöpferisch frei
handeln. Nur wo und sofern wir frei, d. h. sittlich autonom handeln,
sind wir gleichsam wir selbst. Wo wir aber uns selbst nur erkennen,
da ergreifen wir nur die Erscheinung unseres Ich.
Diese Erwägungen drängen zu dem Schluß, die entscheidende, dem
kantischen Denken ihr spezifisches Gepräge verleihende Geistesrich-
tung habe ihr Hauptgewicht nicht im Denken, nicht in seinem logisch-
erkenntnistheoretischen Gefüge, sondern im Willen, im Problem der
Gesetzlichkeit sittlichen Handelns. Dieses Gesetz des Handelns sei die
letzte Instanz, das letzte Stilprinzip, von dem sowohl das subjektive
Interesse Kants wie der objektive Aufbau seines Systems geleitet sind.
Dennoch vermögen diese Betrachtungen nicht die geistige Gestalt
seiner Philosophie in ihren Tiefen zu treffen. Vielmehr ist die Ge-
Stalteinheit dieses Systems völlig durchdrungen von der Logik des
Gegenstandsgedankens. Es ist die größte Angelegenheit dieses Systems,
die logische Theorie des Kulturbewußtseins zu entfalten, also die
Normen des Denkens, die Normen der gegenständlich gerichteten Lo-
gik nach Art und Umfang ihrer Gültigkeit für alle.Lebensgebiete, für
alle Kulturwerte und deren mögliche und tatsächliche Verwirklichung
im alltäglichen Leben, zu fixieren. Überall strebt Kant logische Durch-
sichtigkeit an; sein System ist aus einer einzigen Leidenschaft, aus
einem einzigen Gefühl und Instinkt heraus geboren, anders als bei
Platon, Plotin, Fichte, nämlich der Leidenschaft für die logische Zer-
gliederung alles Irrationalen. Die überall auf das Unbedingte gestellte
Rigorosität seiner Ethik geht letztlich auf den Formwillen seines logi-
schen Fanatismus zurück, dessen Tendenz zu abgezirkelter Genauig-
keit auch die Gesamtheit seiner persönlichen Lebensverhältnisse be-
herrscht hat. Bei den anderen großen Lehrern der Moral, bei Sokra-
tes, Christus und Franz von Assisi, treten die logischen Tendenzen
viel stärker zurück. Es heißt gleichfalls die Bedeutung des ethischen
Momentes mit innerer Berechtigung abschwächen, wenn man be-
denkt, daß Kant nur die primitivsten Vorkommnisse der Wert-
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