ABSCHNITT I
DIE THEORETISCHE PHILOSOPHIE
4- Logik und Erfahrung
1. Kant zerstört nur die logisch-erkenntnistheoretische Gestalt am
Rationalismus und Sensualismus, aber den hierdurch bestimmten
Gehalt beider theoretischer Sehweisen des Lebens nimmt er in sein
System hinein, ja dieser Umkreis von Inhalten bildet einen Ausgangs-
punkt, einen materialen Stützpunkt seines Philosophierens. Die letz-
ten Inhalte seines Systems bilden auf der einen Seite die mystischen
und rationalen metaphysischen Ganzheiten von Seele, Welt und Gott
und auf der anderen der gesamte durch den Sensualismus sanktio-
nierte Gehalt der damaligen Erfahrungswissenschaften. Von der un-
verrückbaren Tatsache dieser Ideen geht Kant ebenso aus wie von
der einwandfreien Tatsache der Erfahrungswissenschaften, die sich
besonders in der Form der Naturwissenschaften ausprägt. Zu seinen
Grundvoraussetzungen gehört daher die Tatsache eines Kulturbewußt-
seins, das von den metaphysischen Ideen lebt und die Tatsache der
anerkannten Gültigkeit der Erfahrungserkenntnis in sich aufgenom-
men hat. So gewiß allerdings jede Einzelerfahrung immer nur ein
relatives Recht auf Gültigkeit hat, so unbezweifelbar ist für Kant
dieses Recht selbst, die allgemeine und notwendige Gültigkeit der
Prinzipien des Erfahrungswissens. Kant fragt nach den Kriterien der
Gültigkeit dieser Prinzipien. Aber er schließt nicht aus der tatsäch-
lichen Bewährung dieser Gültigkeit auf ihre logische Berechtigung. Er
trennt im Gegensatz zum Sensualismus die Tatsache des allgemeinen
Anerkanntseins von Erkenntnissen von der Frage nach dem Warum
dieses Anerkanntseins.
Diese Frage nach dem Warum der Gültigkeit unserer Erkenntnisse
ist darum die einzig mögliche kritische Problemstellung, weil sie in
keinerlei Gestalt Tatsachen als Gründe voraussetzt; wenigstens soweit
es die prinzipielle Stellung der kantischen Methode angeht. Tatsachen
können bei den ersten Fragen nach der Gültigkeit der Erkenntnis nie-
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