Inhalte des Ich aufzufassen, völlig außer Betracht bleiben muß. Das
Ich, die Ichheit, hat keinen bestimmten „Inhalt“, weil sie Prinzip
jeglichen Inhaltes ist. Darum geht es in Urteile nur in vergegenständ-
lichter Gestalt ein. Es ist gerade das Identische gegenüber meinen
verschiedenen Inhalten, die ich erleben kann. Das Ich ist nicht Prin-
zip des Logischen, sondern des Alogischen, nämlich des Erlebens
als inhaltsetzender Funktion; sein Ursprung aus der Mystik bricht
hier auf.
Weder die Ichheit noch das empirische Einzelich als die subjektive
Einheit meiner Bewußtseinsinhalte können daher mit meiner Seele
zusammenfallen. Gewiß, soviele empirische Iche, soviel Seelen. Aber
Seele ist mehr als die Ichheit, auch mehr als das empirische Ich. Das
Ich ist unpersönlich, wenngleich als empirisches Ich individuell. Das
Ich ist nur Möglichkeit für personale Einheit. Es ist nur Bedingung
für die Wertungseinheit der Person. Daher geht in das Ich keinerlei
Inhalt der Wertungen und bewerteten Gegenstände ein. Die Seele
dagegen hat einen bestimmten, individuellen Inhalt, den sie in Wech-
selwirkung mit der Welt in sich entfaltet. Sie hat ein Weltbild, indem
sie es unter der Bedingung der Ichordnung gestaltet. Die Welt ist
stets meine Welt, die eine Ganzheit ist, gebildet von der Erlebnis-
funktion meiner Seele. Somit ist zwar ohne Ich die Einzelseele un-
möglich. Sie ist die Totalitätsfunktion des Ich, die alle erlebten Inhalte
zur Einheit des individuellen Weltbildes zusammenformt. In der Ich-
heit entdeckt Kant daher zwar nicht die Seele, aber den innersten
Punkt, der sie möglich macht. Man sieht, welch gewaltige Gegensätze
Kant zusammenbindet, welche Spannweite seinen Analysen zukommt,
wenn die tiefsten Wahrheiten über die Dinge, die in dem kalten,
seelenlosen Dasein der Naturgesetze so weit von der leidenschaftlichen
Dynamik der Seele abstehen, gerade in der innersten Tiefe der Seele
zu suchen sind. Welt und Seele reichen sich im Ichbegriff die Hand
zu harmonischer Einheit. Die Motive mystischen Insichselbstversen-
kens, das zugleich die Totalität der Gottheit als Symbol der höchsten
Weltwerte erleben läßt, werden hier in ihren wissenschaftlichen Wur-
zeln erkannt.
4. Jede Vorstellung hat, wie wir erkannten, eine Doppelfunktion im
Erkenntnisprozeß zu erfüllen; sie weist auf den Gegenstand, auf das
Urteil und sie ist zugleich als meine Vorstellung ichgegliedert. Darum
gewinnt auch das Ich über die Vorstellung hinweg eine doppelte Be-
ziehung zum Gegenstand; die Beziehung geht einmal auf das Erlebnis
vom Gegenstande und dann auf den erlebten Gegenstand selbst. Die
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