verlegt? Ist es denn überhaupt möglich, die Naturwirklichkeit, die
eindeutig nach streng quantitativen Gesetzen durch die Kausalität
bestimmt abläuft, zu gestalten, zu formen nach Gesichtspunkten, die
zwar der Naturgesetzlichkeit nicht widersprechen, aber doch nicht
ihren Begriffskreisen entnommen sind? Verneint nicht Kant durch
seinen Naturbegriff, der die wesentliche Gegenstandswelt ausmacht,
geradezu die Kulturmöglichkeit? Es sind Fragen, die erst in späteren
Gedankengängen Kants ihre Auflösung finden können. Indessen wer-
den sie an einigen Punkten bereits in der Kritik der reinen Vernunft
vorbereitet.
In der transzendentalen Ästhetik fixiert Kant die Bedingungen für
seinen engsten Gegenstandsbegriff. Er analysiert die Gültigkeitsfrage
der reinen Mathematik. Der quantitative Gegenstand in seiner reinsten
Gestalt, aber eingebannt in die Grenzen des abstrakt Mathematischen,
wird hier in seinen Prinzipien geschaffen, wie das nächste Kapitel
näher ausführen soll. Hierauf folgt in der Kritik der reinen Vernunft
die Ergründung der Wahrheitsgesetze des Gegenstandes in seiner all-
gemeinsten Gestalt vermöge der Korrelation zwischen Ich und Urteils-
gesetz. Im ersten Teile der Grundsätze des reinen Verstandes, in denen
das allgemeine Prinzip in Verbindung mit den Gegenständen der
Wissenschaften gesetzt wird, bedeuten die Axiome der Anschauung
und die Antizipationen der Wahrnehmung eine wesentliche Ver-
engerung des allgemeinen Gegenstandsgedankens, indem sich in ihnen
der naturwissenschaftliche Gegenstand konstituiert. Noch innerhalb
der Verstandesgrundsätze führt aber Kant die analysierende Methode
über die Naturwirklichkeit hinaus zum allgemeinen Wirklichkeits-
begriff, indem er den Gegenstand jetzt nur noch im gesetzmäßigen
Zusammenhang mit der Empfindung denkt, die die Möglichkeit von
Bestimmungen enthält, die über das Quantitative hinausgreifen. Die
Analogien der Erfahrung und die Postulate des empirischen Denkens
bauen den Gegenstand des Wirklichen überhaupt auf und schließen
somit den Begriff der allgemeinsten sinnlichen Erfahrung ab.
Etwas schematisch kann man folgende Stufen dieser Erweiterung
des Bereichs des Gegenstandbegriffs ansetzen:
a) Der engste Gegenstandsbegriff drängt das Quantitative in eine
beherrschende Stellung; sein Reich ist die Mathematik, deren Gültig-
keit die transzendentale Ästhetik begründet.
b) Neben die Quantität tritt im Prinzip der transzendentalen Kate-
goriendeduktion, also in der synthetischen Einheit der Apperzeption,
die Ichbezogenheit des Gegenstandes als eine alle Qualitäten erzeu-
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