Full text: Das königliche Schloss in Berlin

zurückdatiren zu dürfen. Dagegen fpricht eine mir vorliegende Zeichnung aus der Mitte des fiebzehnten 
Jahrhunderts, welche Ruftikaquaderung an den Ecken und Fenfterformen aus der Theifs’Ichen Periode zeigt. 
Ueberhaupt ift die Spielerei der breiten ftufenlofen Reitfchnecken in fürftlichen Schlöffern in Deutfchland 
erft ein Renaiffancegedanke, der fein älteftes tonangebendes Vorbild im Campanile von San Marco gehabt 
haben dürfte. Den vereinzelt im Mittelalter vorkommenden ftüfenlofen Kirchthurm-Treppen liegt noch nicht 
der Gedanke der Benutzung für ritterliche Spiele zu Grunde, wie fie doch beim Markusthurme ‚gelegentlich 
vorkommt. An diefen Treppenthurm reihte fich nach Süden ein zweiter, in ziemlich übereinftimmenden For- 
men, nur im Grundrifs kleiner und im Aufbau etwas höher. Beide waren ohne fonderlichen Kunftwerth. 
Die Ausführung des ganzen,Baues zeigte für die Flächen Kalkputz, für alle gegliederten Theile, 
Fenfter- und Thürwandungen, Säulen, Pilafter, Gefimfe, Reliefs und Statuen fächfifchen Sandftein. Das 
Ganze war polychrom bemalt. 
Im Innern ift die St. Erasmus-Kapelle noch ziemlich erhalten, wenn auch feit dem vorigen Jahr- 
hundert in zwei Stockwerke getheilt. Ob befondere Gründe ihren unregelmäfsigen Grundrifs dictirten (f. den 
Holzfchnitt auf Seite 20 und deutlicher Taf. Nr. 2), ift nicht nachzuweifen; am eheften dürfte er fich aus der 
Gleichgiltigkeit gegen die kirchliche Tradition erklären, wie fie fich gerade in jener Zeit des Kampfes auch dem 
iufseren Apparat des bisherigen kirchlichen Lebens gegenüber mehrfach zeigt. Die Decke bilden im Grund fchon 
wieder Tonnengewölbe, über die ein Netz von fchweren, fich wunderlich ver{chlingenden Rippen gebreitet ift. 
Statt des in diefem Stil fonft meift vorkommenden achteckigen Pfeilers finden wir hier zwei Rundfäulen; 
aus ihnen wachfen ohne Kapitell die Rippen auf, die eine Strecke weit frei in der Luft laufen um fich dann erft 
an das Gewölbe anzufchliefsen. Schwer in der Gefammtform, find fie flach und gratig profilirt. Die breiten 
Gurtbögen überzieht das Rankenwerk der Frührenaiffance. 
Im Südflügel nahm ein etwa 70: ı1 Meter grofser Saal das ganze Hauptgefchofs ein. Ueber feine 
Dekoration wiflen wir nichts näheres. Im Obergefchofs dagegen, welches Wohnräume enthielt, hat {ich 
noch heute von der inneren Architektur ein Reft erhalten. An der Stelle, wo fich die beiden Halbgiebel an 
den füdöftlichen Erker anlehnen, öffnet fich. nämlich das Gemach in einer Art Triumphbogen aus Sandftein gegen 
den Erker. Die Laibung diefes Bogens ift kaffettirt und mit Rofetten befetzt, die Zwickel und Pilafter mit 
hübfchen Pflanzenornamenten und. Bruftbildern, darunter die Joachim’s II. und feiner Gemahlin gefchmückt. 
Die Behandlung ift dem Innern entfprechend feiner und von forgfamerer Durchführung, als an der oben 
erwähnten Loggia des Thurmes, weift aber gleich diefer in Zeichnung und ftilifkifcher Auffaflung durchaus 
auf die fächfifchen Bauten. Aus Sachsen, und zwar aus Schneeberg ftammt denn auch der vermuthliche 
Leiter der plaftifchen Arbeiten am Schlofsbau, Hans Scheutzlich »der Bildhauer und Steinmetz Kurfürft 
Joachim’s II.« 
Aber nicht nur für die Sculpturen, fondern auch für die architektonifche Formgebung, werden wir, 
wie gefagt, bei der Frage nach ihrer Herkunft auf Sachfen und zwar in erfler- Linie auf Torgau verwiesen. 
Der Wendelftein des dortigen füdöftlichen Flügels (1 532—1536) ift ohne Zweifel das Vorbild für den Berliner 
gewefen, wenn auch von einem eigentlichen Copiren nicht geredet werden kann. Statt der doppelten Frei- 
treppe in Torgau hat Berlin nur eine folche, auch fteht dem dortigen hohen Giebel. hier das platte, als Altan 
behandelte Dach gegenüber. Der Gefammtcharakter aber if völlig der gleiche, die Anordnung der Pilafter 
faft übereinftimmend. In Torgau fehlt heut in Folge der Zerftörungen des dreifsigjährigen Krieges das 
urfprüngliche Giebeldach des ganzen Flügels, ob wir alfo auch für diefen Theil des Berliner Baues dort das 
Vorbild zu füuchen haben, läfst fich nicht mehr beftimmen. Aber die runden Eckerker an der Faffade treffen 
wir wieder an beiden Orten, und die dekorative Behandlung beider ift ganz die gleiche; in Torgau wenigftens
	        
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