193 Die Kultur
stark bei ihnen hervor, aber im Hintergrunde auch ihrer
Seele leben feinere Regungen, so daß auch bei ihnen der
Glaube an ein höchstes gütiges Wesen sehr weit ver-
breitet ist.
Es sind danach also drei Seiten in der primitiven
Religiosität zu unterscheiden: Grauen, Feierlichkeit und
Geisterglaube. Die stärksten spezifisch religiösen Ge-
fühlswirkungen liegen im zweiten Erlebnis.
Alle drei können der Ausgangspunkt für weitere Ent-
wicklungen werden, die zum Teil noch innerhalb der pri-
mitiven Sphäre beginnen. Aus dem Geisterglauben kann
sich ein echter Ahnenkult entwickeln. Ein solcher schließt
alle jene höheren Wertmomente in sich, die ein pietätvolles
Verhältnis zu den Verstorbenen in sich enthält. Während
beim Kulturmenschen der Verstorbene meist rasch in die
Zone des Vergessenwerdens zurücksinkt, bleibt das Ver-
hältnis beim Ahnenkult dauernd ein regeres; der Lebende
vertraut dem Toten seine Sorgen an, er bittet ihn um
Hilfe. Höher hinauf führen zwei andere Wege: ver-
feinert sich das furchtbare Grauen, so entstehen die An-
fänge religiöser Ehrfurcht; verfeinern sich die feierlichen
Erregungen, so entstehen eigentliche mystische . Er-
hebungszustände. Es kann jetzt als sicher gelten, daß
bei nordamerikanischen Indianerstämmen solche höheren
Erlebnisse vorgekommen sind und planmäßig erstrebt
wurden. Aber wir stehen erst am Anfang des Studiums,
und es entzieht sich vorläufig unserer Kenntnis, wie weit
sie noch sonst Verbreitung unter primitiveren Verhält-
nissen haben. Das Eigentümliche für diese Seite der Re-
ligiosität ist, daß das Göttliche, das in ihr erlebt zu werden
vermeint wird, oft nicht eigentlich als personaler Art auf-
gefaßt wird, sondern als impersonale Macht.
An mehreren Stellen der Erde hat sich spontan ein
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