216 Die Kultur
dende in der Kunst eine Wertentwicklun g, ein
Aufsteigen zu höheren Werten. Dasselbe beruht zu einem
wichtigen! Teil freilich auf einer dauernden Zunahme der
Herrschaft über die technischen Mittel, zu einem anderen
in der Steigerung der Fähigkeit der Naturbeobachtung
und -nachahmung. Aber beide Entwicklungen -— die je-
weils erreichten Fortschritte sind bereits bei mäßiger Be-
gabung erlernbar — werden überragt von der steigenden
Verfeinerung des Geschmacks, wie es in Isoliertheit und
am deutlichsten beim Ornament jeder Art zutage tritt.
Es ist aber unzutreffend, wenn die formale Ästhetik die
ganze Kunstentwicklung auf derartige „formale“ Mo-
mente reduzieren zu können meint. Die wirkliche Ent-
wicklung der. Kunst vollzieht sich nicht in einem ima-
ginären Reich von Ästhetischem, das ganz für sich be-
stände und mit anderem nichts zu tun hätte. Die höheren
Werte der Kunst treten stets in Verbindung mit anderen
auf. Weder im Faust noch in den Fresken Michelangelos
läßt sich der Schönheitsgehalt loslösen von dem seelischen
Wertgehalt, der in der Person Fausts oder dem Gott-Vater Y
enthalten ist. Wenn wir die Renaissancekunst als der 1
Antike überlegen empfinden, so ist ihr höherer Rang mit
bedingt durch den seelischen Fortschritt, den der euro-
päische Mensch inzwischen gemacht hatte. Die antike
Kunst wird von uns als in sich geschlossenes Ganze emp-
funden. Ein sicheres Feststehen innerhalb der diesseitigen
Welt ist das sie beherrschende Lebensgefühl. Innerhalb ;
dieser Gesinnung sind ihre Leistungen nicht zu überbieten. @1
„Schönres kann nicht sein und werden“ (Hegel)... Aber ei
es gibt in dieser Kunst keinen Michelangelo, keinen Rodin, m
keinen Klinger. Es bedurfte einer Vertiefung des Men- be
schen selbst, um auch in der Kunst über die Stufe der h
Antike hinaus zu gelangen. In der Poesie bleibt das bh: